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Nachricht vom 07.11.2020    

NI fordert eine ökologische Waldwende

Die extrem niederschlagsarmen Hitzeperioden in den Jahren 2018 und 2019 haben bekanntermaßen zu großflächigen Trockenschäden vor allem in Nadelholzbeständen (Fichte) geführt. In der Folge kam es dann zu flächigem Borkenkäferbefall und Absterben der Bäume sowie zu einer Entblößung, also der Entwaldung der Forstflächen durch kahlschlag-ähnliche Räumung des Schadholzes.

Komplette Räumung einer Waldfläche und anschließende Aufforstung mit standortfremden Douglasien. Fotos: Harry Neumann/Naturschutzinitiative e.V. (NI)

Quirnbach. „Die Gründe für diese Entwicklung werden allzu schnell allein mit dem Klimawandel in Verbindung gebracht. Doch die zurückliegenden Dürrejahre konnten ihre verheerende Wirkung nur entfalten, aufgrund einer jahrzehntelang auf Nadelholz fixierten, falschen und nicht nachhaltigen Forstwirtschaft“, erklärten Norbert Panek und Dr. Martin Flade, Buchenwaldexperten und Sprecher des Wissenschaftlichen Beirates des Umweltverbandes Naturschutzinitiative e.V. (NI).

Seit langem haben Naturschützer und Waldökologen davor gewarnt, dass die großflächigen Nadelholzforsten sich nicht nur negativ auf die biologische Vielfalt, die Waldböden, den Wasserhaushalt und das Landschaftsbild auswirken, sondern auch instabile und sehr störungsanfällige Waldökosysteme bilden. Das großflächige Absterben solcher Bestände durch Hitze, Trockenheit, Waldbrände und Insektenkalamitäten war seit Langem vorhersehbar.

Im deutschen Wirtschaftsforst dominieren Baumarten, die in der natürlichen Waldvegetation Deutschlands nur eine unbedeutende Rolle spielen würden, durch künstliche Saat und Pflanzung in den letzten 200 Jahren aber massiv gefördert wurden. Das sind hauptsächlich Fichten und Waldkiefern, die in Deutschland natürlicherweise nur auf Standorten der höheren Gebirge oder (im Falle der Kiefer) auf ärmeren, sandigen oder moorigen „Grenzertragsstandorten“ vorkommen würden. Zunächst war mit diesen Nadelholzaufforstungen nur eine möglichst schnelle Wiederbewaldung der durch Übernutzung auf ein Minimum geschrumpften früheren Waldgebiete bezweckt, die Nadelbäume sollten als Pionierbaumarten späteren Mischwäldern vorausgehen. Doch dann blieb man aus Opportunitätsgründen bei den als „Holzacker“ einfach und gewinnbringend zu bewirtschaftenden Monokulturen.

Natürliche Nadelholzvorkommen
Das natürliche Hauptverbreitungsgebiet von Fichte und Kiefer liegt im östlichen und nördlichen (borealen) Europa sowie bei uns in den höheren Berglagen. In Deutschland würde ihre natürliche Arealfläche gerade einmal 2.650 km² umfassen. In den letzten beiden Jahrhunderten hat der forstwirtschaftende Mensch ihren Flächenanteil künstlich auf 52.000 km² ausgedehnt, also verzwanzigfacht! Damit verbunden war eine komplette Umformung der vormals laubholzbetonten deutschen Waldlandschaft.

„Die Windwurf- und Borkenkäfer-Katastrophen der letzten Jahrzehnte haben gezeigt, dass die Fichte die Klimaerwärmung nicht überstehen wird. Trotzdem wurden noch bis vor kurzem diese Baumart und andere nicht standortheimische Nadelhölzer wie z.B. die Douglasie als unverzichtbare „Brotbäume“ der Forstwirtschaft gepriesen“, so Dr. Martin Flade. „Gerade der flächige Anbau von Douglasien habe wegen der geringen bis sogar negativen Grundwasserneubildung unter diesen Beständen verheerende Auswirkungen auf den Landschaftswasserhaushalt“, so Buchenwaldexperte Dr. Martin Flade.

Wiederbewaldung durch natürliche Sukzession – Keine neuen Monokulturen
Aktuell sei noch eine Verschärfung des Verlusts von Baum-Biomasse auf der Fläche durch großflächige, sogar staatlich geförderte Räumungen der Schadflächen zu verzeichnen. „Anstatt auf die Natur zu setzen und eine natürliche Wiederbewaldung durch schnellwachsende Pionierbaumarten zuzulassen, werden auf den beräumten Flächen anschließend neue Monokulturen mit wiederum standort- und naturraumfremden Nutzhölzern angelegt“, kritisiert Buchenwaldexperte Norbert Panek.

Das Liegenlassen der Kalamitätsflächen hätte nach Ansicht von Panek den positiven Effekt, dass eine maschinelle Holzbergung und die damit verbundene Bodenverdichtung unterbleiben, die liegengebliebenen Schadhölzer mit zunehmendem Zersetzungsgrad Feuchtigkeit speichern und zur Humus-Neubildung beitragen würden.

Ein artenreiches Pionierstadium der Sukzession mit schnelllebigen Gehölzen wie zum Beispiel Birken, Weiden und Ebereschen könnte zudem relativ rasch für ein bodenschützendes Kleinklima sorgen. Anschauungsbeispiele für solche Flächen sind derzeit vor allem in Nationalpark-Kernzonen wie im Bayerischen Wald und im Kellerwald in Nordhessen zu finden. Alleine schon aus Kostengründen und zur Entlastung des Holzmarktes wäre es viel sinnvoller, die Räumung des nicht mehr befallenen Käferholzes zu unterlassen.

Wir brauchen biomassereiche Wälder
„Wissenschaftliche Studien haben mittlerweile belegt, dass vor allem ein hoher Holzvorrat für die Funktionstüchtigkeit von Waldökosystemen eine entscheidende Rolle spielt. Biomassereiche Wälder wirken im Zusammenspiel mit hohen Totholzvorräten günstig auf die Bodenfeuchte und das Mikroklima. Besonders alte, vorratsreiche Laubwälder kühlen sich selbst und ihre Umgebung - in Zeiten der Klimaerwärmung ein sehr wichtiger landschaftsökologischer Effekt“, erläutert Dr. Martin Flade.



Wälder räumen gefährdet die Biologische Vielfalt
Bei Waldschäden nach Borkenkäferbefall greift der Forst massiv in den Waldbestand ein. Neue Untersuchungen an der Universität Würzburg kommen zu dem Ergebnis, dass beim Verbleiben von 75 Prozent der Bäume nach Sturmereignissen oder Insektenkalamitäten im Wald, 90% der vorkommenden Arten erhalten bleiben können. Werde jedoch die Hälfte des vorgeschädigten Waldes entnommen, verringert sich die Artenvielfalt um 25 Prozent.

Keine Räumung von „Schadflächen“
„Die großflächigen Räumungen der Schadflächen bewirken das genaue Gegenteil: Die Flächen sind durch erhöhte Sonneneinstrahlung noch stärker mikroklimatischen Extremen und damit einhergehend einer stärkeren Austrocknung ausgesetzt. Durch Befahrung mit schweren Holzerntemaschinen werden Wasserspeicher- und Pufferungsvermögen der Böden beeinträchtigt. Durch den Entzug der Baum-Biomasse wird die Humus-Neubildung stark eingeschränkt. Zudem geht Lebensraum von Tierarten verloren, die am Prozess der Selbsterneuerung des Ökosystems maßgeblich beteiligt sind. Der propagierte Ansatz der Schadholz-Räumung führt aus ökologischer Sicht im Grunde von der einen Katastrophe unmittelbar in das nächste Desaster“, so Norbert Panek.

Krise als Chance nutzen
Die NI fordert eine grundlegende Neuausrichtung der Forstwirtschaft. Angesichts des Desasters, das durch die jahrzehntelange, einseitig auf Nadelhölzer fixierte Plantagenwirtschaft angerichtet wurde, wäre ein konsequent ökologisch orientiertes Forstmanagement dringend geboten. Aktuell muss es vorrangig um den substanziellen Erhalt unserer Wald-Ökosysteme, also um eine gezielte Aktivierung der natürlichen Regenerationskräfte gehen. Naturwidrige Aufräum- und Aufforstungsprogramme sind nach Ansicht der NI der falsche Weg. Stattdessen müsse gerade in Zeiten der Klimaerwärmung die Wasserspeicherfunktion von Wäldern aktiviert beziehungsweise optimiert werden. „Wir sollten diese Krise eher als forsthistorische Chance nutzen!“, so Dr. Flade.

Nachhaltige Stärkung aller ökologischen Komponenten des Waldes bedeutet konkret:
Aufbau beziehungsweise Akkumulation der Holzvorräte durch eine langfristig angelegte, waldökologisch ausgerichtete Extensivierung der Holznutzung (sowohl bei der Durchforstung als auch bei der Holzernte) sowie eine Erhöhung des Baumbestandsalters durch gezieltes Zulassen von Alters- und Zerfallsstadien und die Zulassung einer natürlichen Wald-Dynamik. „Wichtig sind eine Orientierung der Baumartenwahl an heimischen Waldgesellschaften und eine Verjüngung der Bestände vorrangig über Naturverjüngung. Dies erfordert auch eine wirksame Reduktion überhöhter Schalenwildbestände“, betont Dr. Flade.

Extensivierung der Forstnutzung bedeutet:
eine sowohl quantitative als auch qualitative Steigerung der ökologischen Wohlfahrtsleistungen des Waldes wie zum Beispiel die Wirkung als Luftfilter, die Förderung von Grundwasserbildung, der Schutz der biologischen Vielfalt und die Erholungsvorsorge. Der Aufbau vorratsreicher Bestände und die Ausweitung unbewirtschafteter Wälder bedeuten außerdem eine höhere Kohlenstoff-Bindung.

Im öffentlichen Wald wurde jahrzehntelang und wird teilweise immer noch, auf gesetzes- beziehungsweise verfassungswidrige Weise wirtschaftlicher Profit über die Gemeinwohlfunktionen gestellt.

„Die derzeitigen Entwicklungen in den öffentlichen Forstbetrieben (gewinnwirtschaftliche Ausrichtung mit stark angestiegenen Holzeinschlagquoten, Stellenabbau et cetera) wirken einer Aufrechterhaltung beziehungsweise Steigerung der wohlfahrtsorientierten Wald-Leistungen diametral entgegen. Die Sicherung von ökologischen Wohlfahrtsleistungen ist ein wesentlicher Bestandteil der Gemeinwohl-Aufgabe, die öffentliche Wälder vorrangig zu erfüllen haben. Aufgaben und Ziele im öffentlichen Wald sind vor diesem Hintergrund politisch neu zu definieren. Die Forstwirtschaft muss sich dringend von überholten Betriebsmodellen verabschieden“, so Dr. Martin Flade und Norbert Panek. (PM)


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