Insekten-Atlas: Globales Insektensterben mit nachhaltiger Agrarpolitik verhindern
75 Prozent unserer wichtigsten Kulturpflanzen sind von der Bestäubungsleistung von Insekten abhängig. Doch global verzeichnen Insektenpopulationen dramatische Rückgänge. So gelten in Rheinland-Pfalz knapp die Hälfte der 420 Wildbienen- und der über 1000 Großschmetterlingsarten als gefährdet. Die weltweite Bedeutung der Insekten und ihre Gefährdung stellen die Heinrich-Böll-Stiftung und der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) im neu veröffentlichten Insektenatlas 2020 vor. Außerdem arbeitet der BUND in praktischen Projekten mit Bauern und Winzern zusammen und will am 18. Januar zusammen mit vielen Bäuerinnen und Bauern ein starkes Zeichen für eine nachhaltige, bäuerliche Landwirtschaft setzen.
Mainz/Region. Insekten halten das ökologische System unseres Planeten am Laufen. So droht beim Wegfall tierischer Bestäubung einzelnen Obst- und Gemüsesorten wie Äpfeln, Kirschen, Pflaumen oder Gurken ein Ernterückgang von bis zu 90 Prozent. Insekten verbessern zudem durch das Zersetzen von Dung und abgestorbenen Pflanzenteilen die Bodenqualität und reduzieren Pflanzenschädlinge. So können dem Insektenatlas zufolge Marienkäfer den Befall mit Getreideblattläusen um 80 Prozent reduzieren.
Hauptursachen des Insektenrückgangs sind Veränderungen des Lebensraums sowie Umweltbelastungen. Hier spielt zwar auch die Verstädterung und der damit einhergehende vollständige Lebensraumverlust und die Landschaftszerschneidung eine wichtige Rolle, doch die Intensiv-Landwirtschaft ist laut Insektenatlas die Nummer eins. Denn obwohl Insekten unbestritten eine wichtige Grundlage der Landwirtschaft und unserer Lebensmittelproduktion sind, zerstört die intensive Landwirtschaft mit ihren Folgen die Lebensgrundlage von Insekten in immer größerem Ausmaß: Große, monotone Felder ohne Hecken oder Grüninseln sowie Kunstdünger und Pestizide zerstören Rückzugsgebiete von Nützlingen und fördern die Ausbreitung von Schädlingen.
Weltweit treiben Monokulturen mit Energie- oder Futterpflanzen für unsere Massentierhaltung in Ländern wie Brasilien oder Indonesien die Entwaldung, monotone Agrarwüsten und den Pestizideinsatz massiv voran. So hat sich alleine in Argentinien der Pestizideinsatz seit den 1990er Jahren verzehnfacht. In der EU längst verbotene oder nicht mehr lizensierte Pestizide der großen Chemieunternehmen wie Bayer und BASF werden global weiterhin fast unbeschränkt gehandelt. Mit dem Resultat, dass in Kenia fast 50 Prozent der Pestizide hochtoxisch für Bienen sind und in Brasilien über 30 Prozent.
Mit Blick auf die Agrarindustrie betont BUND-Landesvorsitzende Sabine Yacoub: „Von industrieller Landwirtschaft profitieren nur die großen Agrarkonzerne – auf der Strecke bleiben Kleinbäuerinnen und Kleinbauern, Konsumentinnen und Konsumenten und eben auch die Insekten. Die Politik muss endlich ihrer Verantwortung gerecht werden und umsteuern – in Europa und in den Handelsbeziehungen mit Drittländern. Im Mercosur-Abkommen ist auch eine Zollreduktion für Chemieprodukte ausgehandelt worden, unter die auch Pestizide fallen. Das Ziel noch mehr Pestizide in die artenreichsten Regionen der Welt zu exportieren verhöhnt alle nationalen Nachhaltigkeitsbemühungen. Pestizide, die in Europa aufgrund ihrer gesundheitsschädlichen oder gravierenden ökologischen Wirkung nicht mehr zugelassen sind, dürfen von deutschen Konzernen auch nicht länger in anderen Ländern vertrieben werden.“
Ganz praktisch arbeitet der BUND im Projekt „Blühendes Rheinhessen“ mit Bäuerinnen und Winzern zusammen. Gemeinsam werden Lebensräume für Wildbienen geschaffen. Der BUND berät Landwirt/innen und bildet Wildbienenbotschafter/innen aus. „Das Interesse der Bäuerinnen und Bauern ist groß“, freut sich Yacoub. „Es ist nicht immer einfach gemeinsam Lösungen zu finden. Es ist aber unumgänglich. Doch um das Sterben von Wildbienen, Schmetterlinge und Käfern dauerhaft zu stoppen reichen solche Projekte nicht aus. Wir brauchen einen Umbau der Landwirtschaft. Die Agrarpolitik muss die Betriebe unterstützen, weniger Pestizide einzusetzen, weniger Dünger auszubringen und mehr Lebensräume für Insekten zu schaffen. Die Landwirtschaft muss beim Schutz der Insekten Teil der Lösung werden. Wir haben im Projekt die Erfahrung gemacht, dass das viele Bäuerinnen und Bauern wollen. Doch dafür brauchen sie mehr und bessere Beratung und andere Fördermittel. Aber es braucht auch klare gesetzliche Vorgaben. Öffentliches Geld muss zum Schutz der Insekten eingesetzt werden. Die knapp 60 Milliarden Euro, die jährlich für Europas Landwirtschaft ausgegeben werden, müssen in der neuen Förderperiode an eine naturfreundliche, klimaschonende und tiergerechte Landwirtschaft gebunden werden.“
Weitere Informationen: Der Insektenatlas steht unter www.bund-rlp.de/insektenatlas zum Download bereit. Der Atlas bietet auf über 50 Seiten und in über 80 Grafiken viele Daten und Fakten über die Nütz- und Schädlinge in der Landwirtschaft. Der Atlas kann für Unterrichtszwecke auch klassensatzweise bei der Heinrich-Böll-Stiftung bestellt werden. (Sabine Yacoub)
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