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Nachricht vom 04.05.2019    

Kultursommer im Keramikmuseum: „Heimat/en - Alle an einem Topf“

„Ein Topf wird mobil“ lautete die Eröffnungsveranstaltung am 4. Mai im Keramikmuseum zum Motto des Kultursommers 2019 „Heimat/en“. Mit einem „Dibbewagen“, einer Leihgabe aus dem Hachenburger Landschaftsmuseum, bis oben hin bestückt mit grau-blauem Westerwälder Steinzeug lässt sich das wunderbar verdeutlichen. Zur Eröffnung konnte Museumsleiterin Dr. Nele van Wieringen einen besonders kundigen „Reffträger“ begrüßen: Ernst Moritz Arndt, der lange Jahre Berufsschullehrer für Keramik in Höhr-Grenzhausen war.

Vorstellung des Kultursommers im Keramikmuseum. Fotos: Helmi Tischler-Venter

Höhr-Grenzhausen. „Das weiße Gold des Westerwalds“ wird der im Kannenbäcker Land - der größten zusammenhängenden Tonlagerstätte in Europa - abgebaute Ton genannt, denn er besitzt eine besondere Qualität: hohe Kantenschlagfestigkeit und hohe Dichte aufgrund hoher Brenntemperatur, wie von Andrea Frey zu erfahren war. Früher wurden aus Ton alle möglichen Behältnisse hergestellt, vom Futtertrog über pharmazeutische Gefäße (Salbengefäße) bis zu Gefäßen für die Lebensmittelbevorratung (zum Beispiel Sauerkrautständer), denn die Salzglasur löst sich nicht durch Säure.

Die wissenschaftliche Mitarbeiterin des Museums, Zeischka-Kenzler stellte fest, dass man die Waren aus dem Westerwald weltweit überall findet. Den Transport bewältigten die Menschen vor Jahrhunderten mit Leiterwagen voller Geschirr. Man fand Zunftordnungen von 1591 und 1603, die Regeln für die gewerbsmäßigen Händler von Töpferwaren aufstellten. Die Ware wurde mit dem Wagen zum Bahnhof oder Schiff gebracht. Bis 1950 wurde die Keramik in Kisten von Eulereien in Höhr bis Koblenz transportiert.

Die „Reffträger“ vertrieben zu Fuß mit Kiepe auf dem Rücken oft zweite oder dritte Wahl. Händler kauften den Manufakturen erste oder zweite Wahl ab und gingen als „Karrner“ mit Handkarren, denen manchmal ein Hund vorgespannt wurde, zu den Märkten. Die beste Sortierung wurde mit Pferde- oder Ochsengespann im Linienverkehr transportiert. Der beste Weg für den Weitertransport war der Wasserweg, nur acht Kilometer hangabwärts war man schon am Rhein, der Lebensader und Tor zur Welt: So gelangte das erste Steinzeug mit den Niederländern nach Ostasien und Afrika, später über Spanien nach Amerika.

Steinzeug war das erste globale Weltprodukt mit heute noch geschätzten Eigenschaften: Naturprodukt, nachhaltig, bietet Arbeitsplätze, problemfrei zu entsorgen und ewig haltbar. „German Stonewear“ – weltweit als Symbol des Westerwaldes in der Welt anerkannt.

Die Herstellung wurde auf einer historischen Drehscheibe demonstriert. Gleichzeitig mit den Füßen die Drehscheibe andrehen und den Tonbatzen drücken und ziehen, war schweißtreibende Arbeit, die von Männern ausgeübt wurde. Die Frauen waren für das Henkeln und Dekorieren zuständig. Kiepenträger Arndt erinnerte sich, dass er pro Vormittag 120 Krüge drehen musste. Andrea Frey zeigte, dass man mit drei Fingern und Gefühl die „Schnute ziehen“ muss. Feinarbeit ist auch für den Henkel nötig, der im lederharten Zustand des Gefäßes angesetzt wird. Frauen henkelten hunderte von Bierseideln in weniger als Minutentakt. Eine Mogendorfer Spitzenkraft schaffte 1.400 Henkel pro Tag.



Dekoration war auch Frauenarbeit. Dafür standen und stehen verschiedene Hilfsmittel zur Verfügung. Am bekanntesten sind Red- und Knibisdekore, die das Blau abgrenzen sollen. Kobaltsmalte, das ist gemahlenes Kobaltglas mit Tonbrei, wurde mit Pinseln aus Schweinenackenhaaren aufgemalt. Die markante Salzglasur ist eine Anflugglasur, die beim Brand erst darauf kommt. Dazu wurden die Öfen mit einem Rauminhalt von acht bis vierzig Kubikmetern mit tausenden von Töpfen bestückt. Der zugemauerte Ofen wurde unterzügig circa 40 Stunden lang mit Holz befeuert bis zur Endhitze von 1.200/1250 Grad Celsius. Das benötigte Holz verursachte ein Drittel der Produktionskosten.

Wenn die „Scherben“ gar gebrannt waren, wurde von zwei Seiten durch zwei Männer Kochsalz in den Ofen geschaufelt. Unter heftiger Rauchentwicklung bildete sich Natriumaluminiumsilikat-Glas. Die Innungen sorgten für Qualitätsstandards. Die bekannten braunen Wasserflaschen waren Billigwaren der „Krugbäcker“ und wurden von den Bauern mit auf das Feld genommen.

Technische Keramik ist ein neuer, sehr gefragter Zweig und umfasst alles, was seine Funktionalität durch Brennen bekommt, oft bei Temperaturen bis 2.300 Grad Celsius. Beispiele sind hochwertige keramische Bremsscheiben für die Formel I, Katalysator-Trägermaterial, Filterkeramik für die Metallindustrie, Ballistikschutz, künstliche Zähne und Gelenke.

In einer faszinierenden Sonderausstellung ehrt das Keramikmuseum Westerwald das Lebenswerk des Mosaikkünstlers Fritz Baumer (1919-1989), der im März hundert Jahre alt geworden wäre. Baumer kam 1949 in den Westerwald. Er hatte Mosaik studiert, entsprechend entwickelte er seine eigene Technik: Er sammelte Brennbruch und Scherben bekannter Keramiker, löste die Glasur vom Hohlgefäß und setzte die Keramikmosaikplättchen zu neuen Bildern zusammen. Dadurch erhielt die keramische Farbe eine neue Wirkung und leicht dreidimensionale Haptik. Diese Ausstellung läuft bis zum 10. Juni.

Die Kultursommerausstellung „Heimat/en - Alle an einem Topf“ läuft mit zahlreichen Events bis Oktober. Das Programm findet man auf der Homepage. htv


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