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Nachricht vom 08.08.2018    

Das Liken der Anderen: Siegener Medienwissenschaftler ging Twitter auf den Grund

Was steckt hinter den Verhaltensweisen der Nutzerinnen und Nutzer auf Twitter? Warum ist die Plattform so erfolgreich? Der Siegener Medienwissenschaftler Johannes Paßmann hat die Besonderheiten des sozialen Netzwerks erforscht. In „Die soziale Logik des Likes“ zeigt er auf, wie durchdrungen unsere Gesellschaft von Followern, Likes und Retweets ist. Der Anfang seiner Doktorarbeit liest sich dabei eher ungewöhnlich. „Ich habe schon längst einen Twitteraccount!“

Der Siegener Medienwissenschaftler Dr. Johannes Paßmann ist für seine Doktorarbeit dem Phänomen Twitter nachgegangen. (Foto: Universität Siegen)

Siegen. Donald Trump macht in wenigen Zeichen Politik und Mesut Özil entfacht eine Rassismus-Debatte. Twitter ist ein Phänomen, dem sich der Siegener Medienwissenschaftler Dr. Johannes Paßmann angenommen hat. In „Die soziale Logik des Likes“ zeigt er auf, wie durchdrungen unsere Gesellschaft von Followern, Likes und Retweets ist. Der Anfang seiner Doktorarbeit liest sich dabei eher ungewöhnlich. „Ich habe schon längst einen Twitteraccount!“ Mit diesen Worten beginnt Paßmann sein Werk, das in aller Munde ist. Im April erhielt der Medienwissenschaftler den „Preis der Universität Siegen für die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses“. Inzwischen hat er seine Dissertation als Buch veröffentlicht. Ob FAZ, Die Zeit oder Neue Zürcher Zeitung, seine Erkenntnisse stoßen auch außerhalb der sozialen Netzwerke auf großes Interesse. Was auch daran liegen dürfte, dass sich viele Verhaltensweisen aus der Twittersphäre im alltäglichen Leben wiederfinden.

Paßmann hat von 2005 bis 2010 in Siegen Medienwissenschaft studiert. Nach seinem Diplom arbeitete er dort auch als Dozent und war als Promotionsstipendiat im DFG-Graduiertenkolleg „Locating Media“ tätig, wo seine Doktorarbeit entstanden ist. Zwischenzeitlich war er Lecturer an der Universität Utrecht und im vergangenen Jahr Forschungsgast am „Nordic Centre für Internet and Society“ in Oslo.

Eigenen Account reaktiviert
„Ich fand es unheimlich interessant, wie das Geben und Nehmen dieser Favs, Likes und Retweets funktioniert“, erläutert Paßmann. Bei Twitter wurden die ursprünglichen Favs durch Likes ersetzt. Mit dem Verteilen des Herzchens zeigen die Nutzerinnen und Nutzer, dass ihnen ein Beitrag gefällt. Paßmann ging der Frage nach, welche Rolle diese sogenannten Plattform-Einheiten für das soziale und kulturelle Leben spielen. So beobachtete und analysierte er ab 2011 das Verhalten eines Teils der Community und reaktivierte seinen eigenen, ein wenig in Vergessenheit geratenen Account.

Da sich die sozialen Netzwerke und ihre Nutzergruppen schnell verändern, war es eine „intensive Zeit“, wie Paßmann berichtet. Vom Zuhause für viele Blogger und der Piratenpartei zum Kommunikationskanal für immer mehr Politiker, Journalisten und Unternehmen. Twitter hat einen enormen Wandel hinter sich, ist dabei deutlich politischer geworden. Paßmann hat sich bei der Suche nach Gründen für den Erfolg auf eine spezielle Gemeinschaft konzentriert: die sogenannten Favstar-Twitterer, deren Ziel es ist, Tweets zu verfassen, die möglichst viele Likes erhalten sollen. „Entscheidend ist dabei, dass fast alle darauf erpicht sind, sich nicht zu sehr davon leiten zu lassen“, hat Paßmann festgestellt. Die Suche nach Anerkennung, ohne danach zu gieren. Es klingt paradox, aber: „Erfolg auf Twitter bedeutet, sich von den Erfolgskriterien unabhängig zu machen“, so Paßmann, der dafür den Begriff der Souveränität verwendet.

Likes als Geschenke sind vage
Für seine Forschungen besuchte der Medienwissenschaftler auch Twitter-Treffen in verschiedenen Städten – und gewann aufschlussreiche Erkenntnisse: „Wie der Alltag eigentlich funktioniert, merken wir normalerweise nicht, weil es Routinen sind. Wenn sich die Leute dann offline treffen, kommen die Strukturen unseres Handelns an die Oberfläche.“ Einer der vielleicht wichtigsten Punkte: Likes als Geschenke sind vage und deshalb ein Erfolgsmodell. Sobald man sich gegenüberstehe, gehe diese Vagheit verloren, durch Mimik, Gestik und das Gespräch an sich. „Die große Stärke der sozialen Medien besteht nicht darin, dass sie besonders gut Informationen übertragen, sondern dass so wenig gesagt wird, dass Likes uneindeutig sind und sich jeder seine eigene Version davon bilden kann.“

Letztendlich ist das Verteilen eines Herzchens unter einem Tweet eine freiwillige Gabe. Doch mit einem Geschenk wird stets sehr viel mehr gegeben, als das Geschenk selbst, so eine Erkenntnis, die schon lange vor Twitter Bestand hatte. Der Beschenkte fühlt sich möglicherweise verpflichtet, sich zu revanchieren. Eine soziale Bindung entsteht. Der Unterschied: Während Menschen in ihrem „normalen“ Umfeld nicht jedes Geschenk eines Fremden annehmen würden, haben Twitter und andere soziale Netzwerke diese kleinen Präsente zur Normalform gemacht. Geplant war das nicht: „Vielmehr haben die Plattformen den Nutzerinnen und Nutzern einfach ermöglicht zu tun, was Menschen schon immer tun: Durch kleine Signale der Anerkennung baut man das Soziale auf“, erklärt Paßmann.

Twitter noch nicht abgehakt
Interessant sei, wie die Geschenke funktionieren. „Diese Praktik gibt es so lange wie den Homo Sapiens. Der Erfolg von Twitter liegt einerseits im Bezug auf eine ganz alte Kulturtechnik. Auf der anderen Seite steht die neue Technik, die es ermöglicht, zu quantifizieren. Das ist ziemlich neu. Diese Seiten zusammenzubringen war das Entscheidende.“ Die Twitterer erhalten Anerkennung – und können diese in nackten Zahlen festhalten. Likes werden gezählt, verglichen und in Statistiken übertragen. Die alte Kulturtechnik des Gebens trifft auf die relativ neue Kulturtechnik der Verdatung.

Paßmanns Dank gilt dabei auch der Universität Siegen, die die Bedeutung des Themas früh erkannt und ihn in der Forschungsphase sehr gut unterstützt habe. „Man ist in der Medienwissenschaft in Siegen und an der Uni bereit, neue Wege zu gehen. Es wird innovativ gearbeitet. Das ist toll.“ Mit der Veröffentlichung des Buches ist das Thema Twitter für ihn noch längst nicht abgehakt. An der Forschungsstelle „Populäre Kulturen“ soll auf den Forschungsergebnissen aufgebaut werden. (PM)



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