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Nachricht vom 21.06.2016    

Altstadtsanierung: Alte Substanz erhalten, neue Werte schaffen

Altsanierung ist eine Gemeinschaftsaufgabe. Öffentliche Maßnahmen und private Projekte müssen Hand in Hand gehen, damit das große Ganze gelingen kann. Ein gutes Beispiel für eine private Fachwerksanierung kann man derzeit im Vorderen Rebstock in Montabaur beobachten. Es entstehen Wohnungen mit Schlossblick und ein Ladenlokal.

Gemeinsam arbeiten sie an der Sanierung des alten Hauses: (oben v.l.) Die Eigentümer Bettina Lindner-Gehrhardt und Dr. André Gehrhardt, Dachdecker Alexander Baldus und Zimmerermeister Thomas Becker, (unten v.l.) Architekt Konstantin Hartenstein sowie Bernd Pöhler und Stefan Baumgarten von der VG Montabaur. (Bild: Sascha Ditscher)

Montabaur. Eigentümer, Handwerker, Architekt und Stadt ziehen hier an einem Strang, um Aspekte wie den Erhalt der historischen Bausubstanz, Denkmalschutz, modernes Wohnen, gewerbliche Nutzung, Wirtschaftlichkeit, Brandschutz und Straßenbild in der Balance zu halten. Da sind Geduld und die sprichwörtliche „Spucke“ gefragt, aber auch Liebe zum Detail und hier und da der Wille zu Kompromissen.

„Mein Herz hing schon immer an alten Häusern. Als ich dieses Schatzkästchen hier im Vorderen Rebstock entdeckt habe, wusste ich gleich, was daraus werden soll: Eine Wohnung mit Schlossblick“, so die Eigentümerin und Bauherrin Bettina Lindner-Gerhardt. Sie und ihr Mann Dr. André Gehrhardt wollen in dem historischen Gebäudekomplex insgesamt drei Wohnungen einrichten und das Erdgeschoss, wo bis vor kurzem ein Gardinenstudio untergebracht war, einer gewerblichen Nutzung zuführen.

Beim Erwerb des Gebäudes wussten die Eheleute, dass eine Fachwerksanierung aufwendig ist und Denkmalschutzauflagen zu beachten und der Brandschutz eine wichtige Rolle spielt sind. Als die Fassadenverkleidung aber abgenommen wurde, stellte sich heraus, dass das Fachwerk in einem sehr schlechten Zustand ist und ein Großteil der Balken verfault. „Hier wurde bei der letzten Sanierung nicht fachmännisch gearbeitet. Das Fachwerk ist mit einer Kunststofffarbe gestrichen, die die Flächen versiegelt. An den Fugen tritt aber dennoch Wasser ein, was dann nicht wieder verdunsten kann. Die Folge ist Fäulnis im Gebälk. Die kleinen Vordächer, die man zum Schutz der Fassade angebracht hatte, haben den Prozess begünstigt“, erklärt Architekt Konstantin Hartenstein, der die Bauleitung und Sanierungsplanung übernommen hat. Die kleinteilige Sanierung der Fachwerkfassade ist nun die Aufgabe von Thomas Becker, der eine Spezialausbildung als Zimmerer für Restaurierungsarbeiten hat. Er hat zunächst eine Stützkonstruktion gebaut, damit die Statik des Hauses stabil bleibt, während er die einzelnen Gefache des Fachwerks nacheinander herausnimmt und auswechselt. Das Holz dafür – in der Regel ist es Eiche – bezieht er bei einem Händler in der Eifel, der sich auf den Verkauf von altem, ja sehr altem Holz, spezialisiert hat. Dieses gewinnt er aus dem Abbau von Fachwerkhäusern und Scheunen, die nicht mehr genutzt werden.

„Einige der Balken, die wir hier verarbeiten, sind vermutlich älter als das Haus selbst“, berichtet Becker. Wenn seine Arbeit beendet ist, werden die Balkenkonstruktionen mit Lehmsteinen ausgemauert und von innen mit Holz-Weichfaser-Platten gedämmt. „So bleibt das Haus atmungsaktiv und es entsteht ein angenehmes Wohnklima. Das Vorgehen ist an die historische Bautechnik angelehnt, die ja auch über Jahrhunderte gehalten hat“, so Hartenstein. Dem historischen Vorbild fühlt sich auch Alexander Baldus vom Dachdeckerbetrieb Roland Schmidt verpflichtet. „Hier kommt nur Naturschiefer in Frage. Das ganze Dach wird damit neu eingedeckt. So passt es sich auch optisch in die Umgebung ein.“ Eine besondere Rarität findet sich im Inneren des Hauses: Die gewendelte Treppe hat in der Mitte einen Stützbalken, der aus einem Stamm gefertigt ist und einen durchgängigen Handlauf hat. Ein Fachmann soll das Schmuckstück aufarbeiten und zu neuem Glanz bringen.

Eine Baustelle dieser Art erfordert eine andere Herangehensweise als ein Neubau, bei dem die einzelnen Gewerke vorab geplant und zeitlich aufeinander abgestimmt werden. „Hier gehen wir Schritt für Schritt vor. Es gibt keinen fertigen Plan. Man muss mit dem umgehen, was man vorfindet und so viel wie möglich von der alten Substanz erhalten“, beschreibt Hartenstein die Abläufe.

Die Bauherren legen viel Wert darauf, mit ortsansässigen Handwerkern zu arbeiten. „Man kennt sich. Da klappt die Zusammenarbeit quasi auf Zuruf“, sagt Bettina Lindner-Gerhardt, die täglich auf der Baustelle nach dem Rechten sieht. Rund 700.000 Euro (einschließlich Kaufpreis) wollen sie und ihr Mann in das Objekt investieren. Natürlich sind da die Zuschüsse seitens der Stadt willkommen. Die Förderung für private Sanierungsmaßnahmen in der Altstadt von Montabaur liegt derzeit bei 25 Prozent der förderfähigen Kosten, maximal jedoch 25.000 Euro. „Bei besonders erhaltenswerten Gebäuden kann der Stadtrat noch einen Sonderzuschuss gewähren, so dass die Eheleute Gehrhardt jetzt mit bis zu 40.000 Euro Zuschuss rechnen dürfen. Zuschuss heißt, dass nichts zurück bezahlt werden muss“, erläutert Bernd Pöhler von der Verbandsgemeindeverwaltung, der zusammen mit Stefan Baumgarten die Altsanierung betreut.



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Die Fördermittel stammen aus dem Bund-Länder-Programm „Aktive Stadtzentren“, an dem Montabaur teilnimmt. „Damit sind wir der Lage Fördermittel an Privatpersonen auszuschütten. Wir sind als Stadt aber auch verpflichtet, öffentliche Sanierungsmaßnahmen vorzunehmen. So werden wir noch in diesem Jahr mit dem Umbau des Parkplatzes an der Judengasse beginnen. Hier soll ein Stadtbalkon mit einem Quartiersplatz entstehen“, ergänzt Baumgarten.

Gehrhardts sind unterdessen sicher, dass sich ihre Investition rentieren wird: „Wir haben die Wohnungen schon mal testhalber im Internet angeboten als „Wohnung mit Schlossblick“ und haben direkt eine ganze Reihe ernsthafter Interessenten gefunden. Montabaur ist angesagt und die Lage im Altstadtquartier gefragt.“ Die Wohnungen sollen im ersten und zweiten Stockwerk eingerichtet werden. Eine bereits fertig sanierte Wohnung befindet sich im hinteren Gebäudeteil und wird von einer Flüchtlingsfamilie bewohnt. Das Dachgeschoss wird als Speicherraum ausgebaut, weil im Sinne des Brandschutzes eine andere Nutzung in dieser Höhe in der Altstadt nicht sinnvoll ist. Außerdem gibt es einen alten Gewölbekeller. Das rund 200 Quadratmeter große Ladenlokal im Erdgeschoss bietet sich für eine gewerbliche Nutzung an. Es wurde bereits vor Jahren mit Betonwänden und Stahlträgern saniert, so dass es modernen Standards entspricht. „Es wird noch einige Zeit dauern bis alles fertig ist, aber ich freue mich über jeden Schritt, den wird geschafft haben“, so Bettina Lindner-Gehrhardt optimistisch.


Infokasten: Ein Haus mit Geschichte - Der Vordere Rebstock 20 und 22

Ursprünglich bestand der Gebäudekomplex aus zwei Fachwerkhäusern und dahinter liegenden Nebengebäuden (Stallungen, Werkstatt). Im Laufe der Zeit sind die einzelnen Teile zu einem Komplex zusammengewachsen.

Das Baujahr der Ursprungshäuser lässt sich heute nicht mehr genau bestimmen. Da aber durch den großen Stadtbrand im Jahre 1534 nahezu die gesamte Stadt in Schutt und Asche gelegt war, kann man davon ausgehen, dass die Häuser erst danach errichtet wurden.

Im Vorderen Rebstock 20 betrieb Abraham Jacoby (1863 – 1955) eine jüdische koschere Metzgerei. Er war bis 1929 in Montabaur ansässig, dann verließ er die Stadt. Die Metzgerei wurde nun von dem katholischen Metzger Adam Maus bis 1931 betrieben; dann verzog die Metzgerei Maus in den Vorderen Rebstock 6. Das Haus Vorderer Rebstock 20 stand bis 1934 leer; seit 1935 betrieb der Metzger Max Hommrich hier wieder eine Metzgerei. 1940 bis mindestens 1967 war hier der Gewerbetrieb Polsterei Groß ansässig.

Ein Beispiel dafür, in welch drückender Enge ärmere Familien im vorigen Jahrhundert noch leben mussten, ist das Haus Vorderer Rebstock 22. Hier wohnten alleine vier Familien unter einem Dach. Die Familien Hartmann und Meurer waren als Schuhmacher tätig und man kann auch davon ausgehen, dass sie ihrem Gewerbe in diesem Gebäude nachgingen.



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