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Nachricht vom 06.02.2016    

Europa wurde auch in Bad Marienberg geschmiedet

Ist der Europagedanke lebendig und stark, oder ist die europäische Idee zu einem Sanierungsfall einzustufen? Der Experte Burkhardt Siebert meint dazu, angedacht sei von vielen klugen Köpfen ein ganzes Bündel von Maßnahmen. Es müsse und werde eine europäische Lösung geben, der Weg dahin sei allerdings schwierig.

Das erste und älteste aller Europahäuser ist heute noch in Bad Marienberg in Betrieb. Fotos: Reinhard Panthel.

Bad Marienberg. Das Mutterhaus aller Europahäuser in Bad Marienberg hat seit 1951 an dem „Haus Europa“ mitgearbeitet und gezielte erfolgreiche europäische Jugendarbeit geleistet. Wie stark ist das vereinte Europa heute und woran kann es zerbrechen? Zu diesem Thema sprachen wir mit dem langjährigen Studienleiter und Leiter der Einrichtung, Burkhardt Siebert, der nach seinem altersbedingten Ausscheiden auch heute noch der Bildungsstätte als Berater und Controller verbunden ist.

Das erste Europahaus ist in Bad Marienberg entstanden. Walter Hallstein, ein Politiker mit Weitblick, war der Ideengeber und Motor für diese Einrichtung. Wie viele Jugendliche haben im Laufe der Jahrzehnte an Bildungsseminaren zum Thema Europa in Bad Marienberg teilgenommen?

Siebert: Prof. Walter Hallstein verdanken wir gerade in den Anfangsjahren sehr viel. Als Staatssekretär im Auswärtigen Amt und als bislang einzigem deutschen Präsidenten der Europäischen Kommission lag ihm europäische Jugendbildung sehr am Herzen. Inzwischen haben fast 250.000 Gäste an unseren zumeist einwöchigen Seminaren teilgenommen, darunter sehr viel junge Menschen.

Das Europahaus wirkte ja nicht nur als Bildungsstätte, sondern war auch Ort der Begegnung für Jugendliche verschiedener Altersgruppen aus ganz Europa. In erster Linie waren es jugendliche Franzosen, die diese Einrichtung zum gegenseitigen Kennenlernen nutzten. Später kamen auch Interessenten aus den europäischen Ostblockländern hinzu.

Siebert: Deutsch-französische Begegnungen hatten für uns immer einen ganz besonderen Stellenwert. Dies gilt auch für die Freundschaft zwischen beiden Ländern. Seminare für junge Berufstätige waren für uns immer besonders wichtig, zum Beispiel für deutsche und französische Krankenschwestern. Übrigens: Deutsch-israelische Treffen begannen nach dem 2. Weltkrieg in Bad Marienberg. Nach der Wende in Europa gab es eine große Anzahl von Begegnungen mit jungen Menschen aus den europäischen Reformstaaten, in erster Linie Polen, Tschechien, Ungarn, Slowenien. Da hat Marienberg eine Vorreiterrolle gespielt bis an die Grenzen unserer Belastbarkeit.

Der Abbau aller europäischer Grenzen war die ideale Voraussetzung für ein grenzenloses Reisen innerhalb der europäischen Gemeinschaft. Wieso kommt es heute dazu, dass nicht die „Väter Europas“ aus der Nachkriegs- und Gründerzeit Europas, sondern die wohlhabende Nachfolgegeneration heute „dichte Grenzen“ fordert. Wie erklären Sie sich diesen Sinneswandel?

Siebert: Das Sicherheitsbedürfnis in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union ist naturgemäß unterschiedlich stark ausgeprägt. Das hat auch historische Gründe, die wir nicht übersehen dürfen. Grenzen dauerhaft wirklich dicht machen in Europa kann heute niemand. Stacheldraht und Waffeneinsatz sind keine Lösung. Das wissen die Väter Europas nur allzu gut. Klar ist aber auch, dass viele das Maß an Wohlstand und ein bequemes, vertrautes Leben behalten möchten, woran sie gewöhnt sind. Auch wenn sie nicht ein Leben lang dafür gekämpft haben, wie die Generation ihrer Eltern und Großeltern. Platte Parolen sind auch heute keine Lösung. Sachliche Information und persönliches Engagement sind notwendiger denn je. Es ist und bleibt der Kern europäischer Bildungsarbeit.



Nach den Kriegserfahrungen der älteren Generationen und den jüngsten Entwicklungen in Osteuropa ist so etwas wie ein „nationalstaatliches Denken“ in Polen und Ungarn wach geworden. Aus diesen Ländern besuchten doch zahlreiche Jugendliche die angebotenen Seminare im Europahaus in Bad Marienberg. Ist die „europäische Saat“ nicht aufgegangen?

Siebert: Die jungen Studienleiter Karsten Lucke und Anselm Sellen haben die verdammt schwere Aufgabe, in einer sehr schwierigen Zeit, einer Zeitenwende in Europa!, europäische Inhalte und Notwendigkeiten unter Einsatz moderner Medien zu vermitteln. Das machen sie nach allgemeiner Einschätzung ganz hervorragend und sind zu Recht vielfach ausgezeichnet worden. Klar gibt es massive Entwicklungen in Ungarn, Polen, der Slowakei und anderswo, die mit europäische Grundsätzen und Grundwerten nicht mehr viel zu tun haben und die uns große Sorgen bereiten. Auch junge Menschen fallen darauf herein, das ist nicht neu und auch zu verstehen. Aber sie kommen in der Regel nicht verbohrt in das Europahaus Marienberg, und sie lernen hinzu in gemeinsamen Gesprächen und Aktionen mit Gleichaltrigen aus anderen europäischen Ländern. Das ist der unschätzbare Wert der unmittelbaren persönlichen Begegnungen in unserem Hause.

Europa sollte doch mehr sein als eine reine Währungsunion. Hat Europa noch ein tragfähiges Fundament oder ist die europäische Idee zu einem dauerhaften Sanierungsfall verkommen? In der gesamten Flüchtlingsfrage und dem ungelösten Verteilerschlüssel der einströmenden Flüchtlinge gibt es jedenfalls bis jetzt keine erkennbare europäische Solidarität. Was ist zu tun?

Siebert: Den Stein der Weisen hat hier noch niemand gefunden. Angedacht ist von vielen klugen Köpfen ein ganzes Bündel von Maßnahmen. National wird das nicht gehen. Eine europäische Lösung muss und wird es geben, auch wenn bis dahin das Hickhack noch viel größer sein wird, als wir das von früheren Krisen in der Europäischen Union gewohnt sind. Dazu sollte auch ein Marshallplan für Krisenländer gehören. Der hat uns nach dem Krieg den Weg in eine erfolgreiche Zukunft geebnet. Und eine gute Rendite abgeworfen! Das dürfen wir nicht vergessen: die Einigung Europas, die erste friedliche ihrer Art, ist trotz allem eine grandiose Erfolgsgeschichte. Das Fundament ist klar, auch für unsere Bildungsarbeit im Europahaus Marienberg, überparteilich und überkonfessionell:

"Das ganze Europa soll es sein. In Freiheit und Frieden, Gerechtigkeit und Solidarität!"

Und wenn nicht alle mitmachen können, dann eben nur einige. Abgestufte Integration nennen wir das. Ist nicht das Paradies, aber Realität. Siehe Euro, Sicherheit, Energie - um nur ein paar Stichworte zu nennen. Zeitenwende: ja. Aber nicht das Ende der Geschichte, auch nicht der Europäischen Union. Packen wir's an! So viele machen schon mit, wo sie können. Klasse - aber kein Ersatz für verantwortliches politisches Tun. Da ist noch viel Luft nach oben. Wer mehr über unsere Bildungsarbeit wissen möchte: www.europahaus-marienberg.eu - kiek mol in, macht Spaß!


Wir danken Ihnen für dieses Gespräch. Die Fragen stellte: Reinhard Panthel


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