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Nachricht vom 21.01.2016    

Herzlich willkommen, Willkommensgemeinde!

Zusammengehalten haben die Beiden schon immer. In den langen Zeiten ohne festen Pfarrer. Oder während der NS-Dikatur, als sie den Nazis die lange Nase zeigen. Aber bei aller Liebe bleiben Roßbach und Freirachdorf zwei getrennte Kirchengemeinden. Zumindest bis 2016. Denn künftig gehen die Protestanten beider Orte gemeinsame Wege als „Willkommensgemeinde“.

Mit zwei zusammengebackenen Broten symbolisieren die Roßbacher und Freirachdorfer die Vereinigung ihrer Gemeinden zur "Evangelischen Willkommensgemeinde Freirachdorf-Roßbach". Anschließend verteilten die Kirchenvorstände die Brote an die vielen Gottesdienstbesucher. Eines der vielen schönen Symbole im abwechslungsreichen Festgottesdienst, in dem sich beide Gemeinden offiziell zusammengeschlossen haben. Fotos: EKD Selters.

Roßbach/Freirachdorf. Sie schließen sich zur „Evangelischen Willkommensgemeinde Freirachdorf-Roßbach“ zusammen und setzen damit ein Ausrufezeichen hinter eine Geschichte des Zusammenhalts, die schon vor rund 200 Jahren begonnen hat.

Es ist das frühe 19. Jahrhundert: 1815 tritt Nassau das damalige Amt Dierdorf an Preußen ab – mit Ausnahme Freirachdorfs. Und das führt dazu, dass das Dörfchen aus dem Kirchspiel Elgert-Wiedischhausen-Freirachdorf fällt und fortan ohne Schwestergemeinden dasteht. Das benachbarte Roßbach hat einige Jahre später ebenfalls mit Problemen zu kämpfen, weil es einfach keinen Pfarrer findet. Freirachdorf springt zum ersten Mal für die Nachbarn in die Presche: Deren Geistlicher betreut Roßbach künftig mit. Eine Episode, die beide Gemeinden schon sehr früh sehr eng zusammenbringt. Auch wenn´s noch nicht endgültig funkt: Das Kirchturmdenken, dass jedes Dorf bitteschön eine eigene Gemeinde haben soll, verhindert, dass aus dem Beschnuppern etwas Festes wird.

In den 1930-Jahren rücken die Protestanten beider Orte noch enger zusammen – zum einen, weil diesmal Roßbach die Vakanzvertretung für Freirachdorf übernimmt. Zum anderen, weil sie sich dem Druck der Nazis nicht beugen wollen. Ein Großteil der Gemeindemitglieder beider Orte gehört zur „Bekennenden Kirche“, der Oppositionsbewegung der Evangelischen Christen in der NS-Zeit. Außerdem gibt es zwei inoffizielle Pfarrer in beiden Orten – gläubige Gottesmänner, die vom Bruderrat der Bekennenden Kirche in den Westerwald geschickt wurden. Der vom Landeskirchenamt offiziell berufene Geistliche ist jedoch Mitglied der linientreuen „Deutschen Christen“ – und sitzt am längeren Hebel. Er verbietet den bekennenden Christen und deren Pastoren, die Kirchen beider Gemeinden zu betreten. Zeitzeugen berichten, dass im Mai 1940 die Pforten des Gotteshauses gar „doppelt zugeschlagen, vernagelt und verriegelt“ sind. Die Christen lassen sich die Schikanen nicht bieten und verschaffen sich an Pfingsten kurzerhand durch die Sakristei Zugang zu ihrer Kirche. Als auch das nicht mehr möglich ist, brechen die Protestanten beider Orte mit ihren Pfarrern zu Fuß nach Oberdreis auf, um dort endlich in Ruhe Gottesdienst feiern zu können. Oder sie treffen sich gleich in Privathäusern: Noch heute erinnern sich Menschen beider Dörfer an Trauungen und Taufen in den eigenen vier Wänden und reden hochachtungsvoll von den Pfarrern der Bekennenden Kirche, die damals sogar mehrmals verhaftet und verhört werden.

Die Solidarität und das Festhalten an Überzeugungen bewahren sich die Protestanten beider Orte über den Krieg hinaus. Obwohl es von 1951 bis 1966 in Roßbach wieder eine Durststrecke ohne festen Pfarrer gibt, in der die Freirachdorfer ihren Geschwistern abermals unter die Arme griffen: Die Freirachdorfer Pfarrer betreuen den Nachbarort in dieser Zeit mit – wie schon rund 130 Jahre zuvor.

1966 tritt dann ein besonders prägender Mensch seinen Dienst an: Pfarrer August Philippus. Auf dem Papier ist er zwar in Roßbach „unter Versehung der Pfarrei Freirachdorf“ tätig, wie es im damaligen Kirchendeutsch heißt. In der Realität gibt es diese Abstufung aber nicht: Philippus leitet beide Gemeinden gleichberechtigt 24 Jahre lang und setzt in dieser Zeit entscheidende Akzente. Er gründet neue Kreise und investiert viel in die Frauenarbeit der Kirche. Ein Engagement, das beiden Gemeinden guttut und nach den schwierigen Kriegsjahren und der anschließenden Vakanz für Stabilität sorgt.

1990 machen Roßbach und Freirachdorf erneut einen großen Schritt aufeinander zu. Unter Pfarrvikarin Gudrun Ortwein beschließen sie die „pfarramtliche Verbundenheit“. Das bedeutet nicht nur, dass die Pfarrvikarin fortan für beide im gleichem Maße verantwortlich ist, sondern dass in der Folge die Gemeindeglieder gemeinsame Projekte wie etwa ein Frauencafé oder große Gottesdienste auf die Beine stellen.



Auch die folgenden Pfarrerinnen und Pfarrer hinterlassen Spuren in Roßbach und Freirachdorf und führen viele Traditionen ein – ob es nun das Engagement für den Buß- und Bettag unter Bernhard Klose oder die liturgischen Neuerungen und frischen Gottesdienstformen sind, die Gudrun Goy oder Frank Dittmann etablieren.

Mit der neuen Pfarrerin Ilona Fritz wird nun ein ganz anderes Kapitel aufgeschlagen: Aus dem gegenseitigen Aushelfen und der „Pfarramtlichen Verbundenheit“ ist 2016 eine echte Einheit geworden. Ein großer Schritt, der sich schon 2014 abzeichnet. Damals finden gemeinsame Klausurtagungen statt, aus denen die Kirchenvorsteherinnen und –vorsteher vor allen Dingen eine Erkenntnis mitnehmen: Eigentlich gibt es zwischen beiden Gemeinden kaum Unterschiede. Schon gar nicht, was die theologische Ausrichtung angeht: Hier wie dort ist Dietrich Bonhoeffer das große Vorbild; beide legen Wert auf Solidarität und sind offen für eine enge Anbindung an die Dorfgemeinschaft; beide beschäftigen ökologische Fragen.

Am Ende einer Tagung im November 2014, die bis in die frühen Morgenstunden dauert, wissen sie, dass Roßbach und Freirachdorf einfach zusammengehören. Die Gemeindeversammlung, die sich zwölf Wochen später trifft, beschließt die Vereinigung ohne Gegenstimme. Und auch den ersten Test der noch frischen Beziehung übersteht das junge Paar: Um die Obergrenze von zwölf Personen einhalten zu können, verzichten die Roßbacher – die größere der beiden Gemeinden – auf vier ihrer Kandidaten zur Kirchenvorstandswahl, sodass beide Orte gleich viele Delegierte stellen.

Nun schließen sich Roßbach und Freirachdorf also zur Willkommensgemeinde zusammen. Ein Name, der Programm sein soll. Denn sowohl Pfarrerin Ilona Fritz als auch der Kirchenvorstand träumt von einer Kirche, die eine „lobende Gemeinde für alle Generationen“ wird. Eine, die ihre Kinder- und Jugendarbeit ausbauen und vernetzen möchte, neue Kraft in die Seniorenarbeit steckt, weit über den eigenen Tellerrand hinausblickt und nicht nur neue Gemeindemitglieder, sondern auch Flüchtlinge herzlich willkommen heißt. Dinge, die sicher einen langen Atem brauchen. Allerdings haben die Roßbacher und Freirachdorfer schon mehr als einmal bewiesen, dass sie zusammenhalten können, wenn’s drauf ankommt. (bon)

Festlicher Gottesdienst zur Eröffnung
Mit einem abwechslungsreichen und bewegenden Gottesdienst haben die Freirachdorfer und Roßbacher die Vereinigung ihrer Kirchengemeinden zur „Willkommensgemeinde“ gefeiert. Ein Titel, der in die Zeit passt und dennoch zeitlos ist, findet Pröpstin Annegret Puttkammer: „Der Name weist darauf hin, dass wir Menschen in Not ein ,Willkommen!’ zurufen sollen. Aber er steht auch für Gottes ,Willkommen! an jeden von uns. Jesus sagt: ,Kommt her zu mir, wenn Ihr mühselig und beladen seid. Dafür brauchen wir weder eine Einstellungskommission noch eine Aufnahmeprüfung. Wir sind immer willkommen bei ihm – so wie wir sind.“´

Die Vereinigung war an diesem Tag indes nicht der einzige Grund zum Feiern: Das Roßbacher Gotteshaus ist von innen gründlich renoviert worden und präsentiert sich den Besuchern künftig im frischen Gewand. Neben einer neuen Fensterfront und umfangreichen Malerarbeiten wurde unter anderem die Beleuchtung auf den neuesten Stand gebracht.

Und schließlich gab es während des Festgottesdienstes noch eine ganz besondere Ehrung: 36 Jahre war Marianne Käß im Roßbacher Kirchenvorstand aktiv, davon 14 Jahre als Vorsitzende. Für ihr Engagement ist sie nun mit einer Urkunde ausgezeichnet worden. Zudem verlieh ihr Pröpstin Annegret Puttkammer die Silberne Ehrennadel der EKHN: Denn neben ihrer Tätigkeit im Kirchenvorstand war sie von 1985 bis 2009 in der Dekanatssynode aktiv. (bon)



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