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Nachricht vom 09.09.2014    

Niederländisches Kirchenoberhaupt wird Pfarrerin im Westerwald

Die neue Pfarrerin der Evangelischen Kirchengemeinden Rossbach und Freirachdorf heißt Ilona Fritz. Eine Frau, die als Bischöfin Historisches leistet und deren Leben mindestens so bunt wie ihr Wohnzimmersessel ist. Sie freut sich bereits auf die kommende Zeit.

Foto: Veranstalter

Westerwaldkreis. Zwischen Amsterdam und Rossbach liegen fast 340 Kilometer, ein Bevölkerungsunterschied von knapp 808.000 Menschen. Und die Geschichte eines niederländischen Kirchenoberhauptes, das in den Westerwald geht, um dort Dorfpfarrerin zu werden. Es ist die Geschichte von Ilona Fritz, der neuen Pfarrerin der Evangelischen Kirchengemeinden Rossbach und Freirachdorf – eine Frau, die als Bischöfin Historisches leistet. Und deren Leben mindestens so bunt wie ihr Wohnzimmersessel ist.

Das bunte Leben, es beginnt in den 60er-Jahren in Baden-Württemberg. Ilona Fritz wächst in der Nähe von Stuttgart auf, studiert ab 1982 Theologie und ist 1985 zum ersten Mal für längere Zeit in Amsterdam. Dort lernt sie mit der Dominikus-Gemeinde eine völlig neue Art von Kirche kennen, in der das Miteinander von Protestanten und Katholiken nicht nur toleriert, sondern zelebriert wird. Ilona Fritz ist von der Gemeinde und deren Theologie fasziniert und hat das Glück, dass ihr die Evangelische Landeskirche von Württemberg dort ein Praktikum ermöglicht. Leben kann sie davon freilich nicht: Das Salär, das ihr der Lutherische Weltbund zuschießt, reicht kaum fürs Nötigste. Ilona Fritz arbeitet nebenher als Putzfrau in Baucontainern und kocht Kaffee für die Arbeiter. „Morgens war ich auf der Baustelle, nachmittags in der Dominikus-Gemeinde“, erzählt sie. Nach drei Monaten hält ihre erste Predigt. Natürlich auf holländisch. „Ich sprach über den Auszug Abrahams aus Ägypten. Das hat gepasst. Ich war ja in gewisser Weise auch eine Fremde“, erinnert sie sich. Trotz der Strapazen empfindet sie die Zeit als wertvoll: Sie genießt die Tätigkeit in der überkonfessionellen Gruppe, in der alle Hand in Hand arbeiten. Und sie lernt dort einen katholischen Theologen kennen, den sie wenig später heiratet. Und genau das wird ihr in der Heimat zum Problem.

„Eigentlich wollte ich nach meinem Studium als Pfarrerin in Deutschland arbeiten. Doch wegen meines katholischen Ehemanns erlaubte mir das die Landeskirche nicht.“ Ilona Fritz war tief enttäuscht und kehrt Deutschland vorerst den Rücken zu. Sie engagiert sich mehr und mehr in der Evangelisch-Lutherischen Kirche der Niederlande. 1992 tritt sie ihre erste Pfarrstelle in Weesp an und wird dort im gleichen Jahr ordiniert. „Weesp ist eine schnuckelige, mittelalterliche Stadt nahe Amsterdam“, sagt sie und spricht das „Schnuckelig“ noch immer wie „snückelig“ aus. Die Zeit in Weesp beeinflusst sie bis heute – nicht nur, was den Klang ihrer Sprache angeht: Die Gemeinde ist lutherisch geprägt, legt also einen großen Wert auf die Liturgie, die Pfarrerin Fritz dort als etwas Wunderschönes kennenlernt: „Die Liturgie ist eine Spielwiese, auf der sich das Wort Gottes gesungen und gesprochen entfalten kann.“

Sieben Jahre lang lebt und arbeitet Ilona Fritz in dem snückeligen Städtchen. Dann verlässt sie die Spielwiese und wagt abermals den Schritt in die Fremde: nach Amsterdam, in den „Brennpunkt Südost“ der Evangelisch-Lutherischen Gemeinde. Dort besuchen fast ausschließlich Menschen mit südamerikanischen Wurzeln die Gottesdienste – Leute aus dem Staat Suriname, die ihren Glauben völlig anders leben, als es Ilona Fritz in der heilen Welt von Weesp kennengelernt hat. „Ich kam mir anfangs vor wie der Elefant im Porzellanladen“, erzählt sie. „Es war eine fremde Kultur mit einer völlig anderen Art der Kommunikation, Hierarchie und Frömmigkeit. Das hat oft zu Konflikten geführt.“ Aber die Pfarrerin findet den Draht zu ihren Schäfchen. Sie lernt surinamisch und schafft es, die Konflikte mit Bedacht zu lösen. „In dieser Zeit ist mir klargeworden, dass ich nichts von Vorneherein als Quatsch abstempeln darf.“ Stattdessen geht sie den Dingen, die sich in der Gemeinde in seltsame Richtungen entwickelt haben, mit einem, warum?' auf den Grund. „Und das Feiern ist mir in der Zeit wichtig geworden. Ebenso wie die unmittelbare Frömmigkeit und die Freude über die Gnade Gottes.“



Anfang des Jahrtausends wird ihr Gottvertrauen auf eine besondere Probe gestellt. Ilona Fritz soll die neue Präsidentin der Evangelisch-Lutherischen Kirche werden und ihre eigene mit den beiden anderen großen protestantischen Kirchen des Landes vereinen. „Das war mir viel zu groß. Ich habe mich deshalb nur zur Vize-Präsidentin ernennen lassen“, sagt sie. Doch nach einem Jahr scheidet der Präsident aus, und Ilona Fritz steht plötzlich an der Spitze einer der wichtigsten niederländischen Kirchen. Fast acht Jahre hat sie das Amt inne und muss sich währenddessen immer wieder gegen Vorurteilen aus dem konservativen Lager behaupten, das eine Frau als Kirchenoberhaupt nur belächelt. Doch sie steht ihren Mann und führt 2004 die drei Kirchen zur großen Protestantischen Kirche in den Niederlanden zusammen. Eine historische Leistung einer Frau aus Deutschland, die dieses Amt in der „Fremde“ eigentlich gar nicht antreten wollte.

Nun kehrt Ilona Fritz in ihre alte Heimat zurück. „Als Kirchenpräsidentin und Gemeindepfarrerin in Amsterdam habe ich gegeben, was ich geben konnte“, begründet sie ihren Entschluss für den Wechsel. „Ich wollte wieder näher an den Menschen sein.“ In den Niederlanden gilt sie wegen ihres Status' als ehemalige Bischöfin allerdings für den normalen Gemeindedienst als überqualifiziert. Ihr Bruder, der bei Darmstadt lebt, bringt sie schließlich auf die Idee, es in einer deutschen Landeskirche zu versuchen. „Damit der Wechsel von den Niederlanden nach Deutschland nicht allzu steil wird, entschied ich mich für denjenigen Teil der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, der am nächsten an Holland liegt.“ Willkommen im Westerwald.

Trotz ihrer beeindruckenden Vita möchte Ilona Fritz das Füllhorn ihrer reichen Erfahrungen aber nicht einfach über Rossbach und Freirachdorf ausschütten. Sie hat sich vorgenommen, das erste halbe Jahr vor allen Dingen zuzuhören. Und sie ist gespannt, ob und wie sich ihre Erfahrungen als Pfarrerin in einer säkularisierten Stadt in einem Dorf einbringen lassen. „Mir ist es wichtig, meine Ideen mit Menschen umzusetzen, statt sie alleine durchzuboxen. Ich möchte wissen, welche Rolle die Kirchengemeinde im Ort spielen kann und hoffe, dass es uns gelingt, die Generationen besser zu vernetzen – sodass es ein Miteinander statt ein Nebeneinander wird.“

Jetzt ist sie also in Rossbach angekommen, die niederländische Weltenbummlerin aus Schwaben und sitzt auf ihrem kunterbunten Wohnzimmersofa. Eine Weltenbummlerin, die weiß, wie es sich als Fremde anfühlt. Deshalb ist sie im Dekanat Selters nicht nur Gemeindepfarrerin, sondern ab Januar mit einer Viertelstelle für das Thema Willkommenskultur zuständig. Dank ihrer Hilfe sollen sich Flüchtlinge im Westerwald künftig etwas wohler fühlen. „Die Flüchtlinge sind wertvolle Menschen – nicht heimatlose, anonyme Personen. Ich will sie in diesem Anderssein wahrnehmen – ihnen also nicht nur erzählen, was bei uns üblich ist, sondern auch lernen, was bei ihnen normal ist.“ Eine Herausforderung bei Menschen, die oft traumatisiert und ohne einen Pass nach Deutschland geflüchtet sind. Und die es ganz besonders verdient haben, in Westerwald willkommen geheißen zu werden, glaubt Ilona Fritz: „Es geht nicht nur darum, Flüchtlingen bei alltäglichen Dingen zu helfen. Es geht auch darum, sie als Menschen zu sehen – egal ob sie so heißen, wie sie vorgeben oder nicht.“ (bon)



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