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Nachricht vom 27.08.2013    

Die Verdrängung des Themas Armut funktioniert gut

Gelocht und abgeheftet: Dieses triste Schicksal droht nach Meinung des Forums Soziale Gerechtigkeit dem im Juni im Kreistag diskutierten zweiten Armutsbericht des Westerwaldkreises. Außer einer wichtigen Verstärkung der Schuldnerberatung sind Konsequenzen nicht zu erwarten. Um das Thema Armut zu vertiefen, hatte das Forum mit Unterstützung der Kreissparkasse Westerwald jetzt zu einem Vortrags- und Diskussionsabend in das Sozialkaufhaus in Montabaur eingeladen.

Freuten sich über eine informative Veranstaltung im Sozialkaufhaus in Montabaur zum Thema Armut (von links): Prof. Dr. Christoph Butterwegge, Susanne Gehrke (Jobcenter Westerwald), Stephan Reckmann (Geschäftsführer GFBI), Jutta Klaas (Jobcenter Westerwald), Andrea Leineweber (Leiterin Sozialkaufhaus), Uli Schmidt (Forum Soziale Gerechtigkeit)

Montabaur/Westerwald. Mit Prof. Dr. Christoph Butterwegge konnte der profilierteste und bekannteste deutsche Armutsforscher begrüßt werden. Sein fundierter Vortrag zum Thema „Armut im einem reichen Land – wie das Problem verharmlost und verdrängt wird“ lockte aber kaum so viele Interessenten in die Kreisstadt, wie der Kreistag Mitglieder zählt (50). Vom Westerwälder Parlament war mit der Landtagsabgeordneten Dr. Tanja Machalet sogar nur ein einziges Mitglied gekommen. Weitere Mandatsträger von anderen kommunalen Gremien wurden nicht gesichtet. Eine Teilnehmerin wertete dies so: „Das ist ein Beleg dafür, dass die Verdrängung des Themas bis hinein in die Kommunalpolitik gut funktioniert!“
Zu Beginn der Veranstaltung nannte Forumssprecher Uli Schmidt (Horbach) Beispiele dafür, dass es auch im Westerwald immer mehr Menschen gibt, die in Armut leben. So wachse jedes sechste Kind in einem armen Elternhaus auf und in 2012 hätten sich 1017 Kunden zumindest teilweise mit Hilfe der Tafeln ernährt. Die Beratungsfälle der beiden Schuldnerberatungsstellen seien mit 666 auf Rekordniveau, die Grundsicherung im Alter steige und es seien etwa 2500 Langzeitarbeitslose zu betreuen. Hinzu kämen immer mehr prekäre Arbeitsverhältnisse und auch der steigende Bedarf eines Sozialkaufhauses sei ein Indiz. „Wir dürfen nicht so tun, als ginge uns das auf kommunaler Ebene nichts an und es reiche aus, nur auf Berlin und Mainz zu hoffen“, so Schmidt.
Für die Gesellschaft zur Förderung beruflicher Integration (GFBI) als Träger des Sozialkaufhauses begrüßte Stephan Reckmann die Gäste. Er wies auf zwei wesentliche Schwerpunkte der Einrichtung hin: zunächst würden hier mit dem Jobcenter Westerwald als Kostenträger junge Menschen fit für den allgemeinen Arbeitsmarkt gemacht. „Wichtig ist auch“, so Reckmann, „dass sich bedürftige Menschen hier kostengünstig mit Bedarfsgütern des täglichen Lebens versorgen können“.
In seinem einstündigen Vortrag brachte der Wissenschaftler Prof. Dr. Butterwegge die gesellschaftliche Entwicklung auf den Punkt: “Die Armen werden immer mehr, die Reichen immer reicher“. Die Altersarmt sei überwiegend versteckt und nicht sichtbar. Aber bis zu 2,7 Millionen Kinder mit armen Eltern seien ein Warnsignal. In einem Zwischenruf wies ein Teilnehmer darauf hin, Armut könne nur wirksam durch teilen bekämpft werden.
Der Referent warf den Bundesregierungen der letzten 30 Jahre vor, nach dem Matthäus-Prinzip regiert zu haben: Wer hat, dem wird gegeben. So sei die Körperschaftssteuer von 53 Prozent Anfang der 80er Jahre auf heute 15 Prozent verringert worden. Kritik übte Dr. Butterwegge an den Überlegungen zur Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens: „Die Motivation vieler Leute geht verloren und der Sozialstaat wird dadurch noch mehr zerschlagen“.
Es blieb noch Zeit zur Diskussion, die viele Teilnehmende nutzten. Die regionale DGB-Chefin und Bundestagskandidatin Gabi Weber trat energisch für einen Mindestlohn von 8,50 Euro ein, der aber nur die unterste Schamgrenze für die Unternehmen darstelle. Eine ältere Dame empörte sich über ihre geringe Rente: „Ich habe vier Kinder großgezogen und bei der Erziehung von sieben Enkeln geholfen – trotzdem reicht meine Rente nicht zum Leben!“ Diskutiert wurde auch die jüngst in einer TV-Talkshow gestellte Frage, ob die Alten auf Kosten der Jungen leben.
Butterwegge appellierte am Schluss mit einem eindringlichen Blick in den Saal an die Teilnehmenden: „Sie gehören fast alle der gesunden Mittelschicht an – setzen Sie sich dafür ein, dass diese nicht zwischen arm und reich zerrieben wird!“









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