Schulstandorte vom demografischen Wandel betroffen
Bildungsministerin Doris Ahnen ist der Auffassung, dass eine umsichtige Schulentwicklungsplanung ein wohnortnahes Bildungsangebot sichern kann. Dazu stellte sie kürzlich in Mainz die „Leitlinien für ein wohnortnahes Angebot an Realschulen plus“ vor, die als eine Hilfe dienen sollen, um die Herausforderungen des demografischen Wandels künftig meistern zu können.
Region. „Rheinland-Pfalz hat sich durch eine umsichtige Bildungspolitik frühzeitig auf den Rückgang der Schülerzahlen eingestellt. Trotzdem stellt die Gestaltung des demografischen Wandels auch in den nächsten Jahren Schulen, Schulträger und Politik vor Herausforderungen, die nur gemeinsam gestaltet werden können.“ Das unterstrich Bildungsministerin Doris Ahnen heute bei der öffentlichen Vorstellung der „Leitlinien für ein wohnortnahes Angebot an Realschulen plus“ in Mainz.
Die Zahl der Kinder und Jugendlichen, die in der Sekundarstufe I eine weiterführende Schule besuchen, werde bis zum Schuljahr 2020/2021 nach der Studie von Prof. Klemm auf rund 179.000 Schülerinnen und Schüler (von 235.000 im Schuljahr 2011/2012) zurückgehen. „Wenn die Zahl der Schülerinnen und Schüler in den Grundschulen sinkt, und das tut sie seit einigen Jahren, dann wirkt sich das mit einiger zeitlicher Verzögerung selbstverständlich auch in den weiterführenden Schulen aus“, sagte Doris Ahnen. So rechne zum Beispiel die Schulstatistik mit einem Rückgang der Erstklässlerinnen und Erstklässler um 29 Prozent zwischen dem Schuljahr 2003/2004 und dem Schuljahr 2016/2017. Mit dem letztgenannten Einschulungsjahrgang sei dann auch der Rahmen für den Übergang in die Sekundarstufe I im Jahr 2020 vorgegeben.
Auf diese Entwicklung müssten sich die Landkreise und kreisfreien Städte, die nach dem Schulgesetz Träger der Schulentwicklungsplanung sind, einstellen und ihre Schulentwicklungspläne dementsprechend fortschreiben. „Es wäre blauäugig und der Situation nicht angemessen, bei stark zurückgehenden Schülerzahlen den Erhalt aller derzeitigen Schulstandorte für die nächsten zehn Jahre als Zielvorgabe zu formulieren. Eine solche Zielvorgabe würde sehr bald von der Realität eingeholt“, hielt die Bildungsministerin fest. Das betreffe im Übrigen – mit zeitlicher Verzögerung und in unterschiedlichem Umfang – alle Schularten.
Realschulen plus aktuell im besonderen Fokus
Im Fokus bei der Schulentwicklungsplanung stünden bei den weiterführenden Schulen die Realschulen plus, da in den Gymnasien und Integrierten Gesamtschulen in den nächsten Jahren noch Schülerinnen und Schüler aus geburtenstärkeren Jahrgängen in die Oberstufen wechselten. Dadurch zeige sich der Rückgang der jeweiligen Gesamtschülerzahl dort zunächst noch moderater. Trotzdem sinke auch an den Gymnasien die Schülerzahl bis zum Schuljahr 2020/21 voraussichtlich um fast 17 Prozent gegenüber dem Stand des Schuljahres 2011/12. In der Sekundarstufe I liege der Rückgang in diesem Zeitraum nach der Prognose bei etwa 20 Prozent.
Die Integrierten Gesamtschulen (IGSen) könnten ihre Schülerzahlen in den nächsten Jahren sogar noch steigern, weil viele der seit dem Beginn der Schulstrukturreform neu gegründeten IGSen noch aufwachsen. Trotzdem bekämen auch die Integrierten Gesamtschulen den demografischen Wandel zu spüren. So sei die Zahl der IGS-Anmeldungen landesweit für das Schuljahr 2013/14 um rund 1.000 Schülerinnen und Schüler gegenüber dem Vorjahr gesunken.
Als aktuelle Hilfestellung für die weitere Schulentwicklungsplanung insbesondere bei Realschulen plus habe das Bildungsministerium zusammen mit der Schulaufsicht „Leitlinien für ein wohnortnahes Angebot an Realschulen plus“ erarbeitet. Der Zeitpunkt für die Vorlage erkläre sich aus dem Abschluss der Schulstrukturreform im Bereich der Sekundarstufe I, die sich bis zum 31. Juli 2013 das Zusammenführen von Hauptschulen und Realschulen als Ziel gesetzt hatte. „Dieses Ziel haben wir in aller Regel im großen Einvernehmen mit den Beteiligten innerhalb der vergangenen fünf Jahre erreicht“, betonte Doris Ahnen. Im kommenden Schuljahr nähmen insgesamt 186 Realschulen plus, darunter sieben private, Schülerinnen und Schüler in ihre fünfte Klassenstufe auf. Diese 186 Schulen hätten im Schuljahr 2011/2012 noch knapp 90.000 Schülerinnen und Schüler unterrichtet, bis zum Schuljahr 2020/2021 sinke diese Zahl voraussichtlich aber auf gut 66.000 Schülerinnen und Schüler ab.
Realschule plus bietet gute Ausgangslage für praxisorientierte Bildung
Im jetzigen rheinland-pfälzischen Bildungssystem habe die Realschule plus die Aufgabe, wohnortnah zu zwei Bildungsabschlüssen (Berufsreife und Mittlere Reife) zu führen. Sie biete umfängliche Anschlussmöglichkeiten in den Beruf oder eröffne weitere schulische Wege zur Höherqualifizierung bis hin zum Erwerb der Hochschulreife. „Um diesen pädagogischen Auftrag erfüllen zu können, muss die Realschule plus eine Vielzahl von Unterrichtsangeboten vorhalten, die vor allem die individuelle Förderung unterstützen und zur Berufsvorbereitung dienen. Deshalb zählt insbesondere der Wahlpflichtbereich mit den drei verpflichtenden Fächern Wirtschaft und Verwaltung, Technik und Naturwissenschaften, Hauswirtschaft und Soziales aber auch die zweite Fremdsprache zu den wichtigen Bausteinen für das Profil dieser Schulart“, erläuterte die Bildungsministerin. In diesen Fächern würden gleichzeitig Schlüsselqualifikationen in ökonomischer Bildung und für die Medienkompetenz vermittelt als auch für die frühzeitige berufliche Orientierung, so Doris Ahnen weiter. Der breit angelegte Berufsbezug sei nicht zuletzt ausschlaggebend für die notwendige Akzeptanz und für das Vertrauen in die Qualität der pädagogischen Arbeit der Realschule plus vor allem im Handwerk und bei der Wirtschaft.
Differenziertes pädagogisches Angebot erfordert Mindestgröße
„Allerdings setzt dieses Unterrichtsangebot, das eine Realschule plus prägt, eine gewisse Schülerzahl an der entsprechenden Schule voraus“, betonte die Ministerin. So sei die Ausgestaltung von schuleigenen Wahlpflichtfächern, die Bildung von Arbeitsgemeinschaften aber auch von Differenzierungsangeboten und unterschiedlichen Lerngruppen erst ab einer gewissen Schülerzahl sinnvoll möglich. Erst dann ergäben sich in der Konsequenz die notwendigen Spielräume für den differenzierten Umgang mit Heterogenität und für die individuelle Förderung. Als die praxisnahe Größe hätten sich hier drei Parallelklassen pro Jahrgang herausgeschält, dies sei auch im Schulgesetz als Mindestgröße von Realschulen plus in öffentlicher Trägerschaft festgeschrieben. Für Realschulen plus eröffne das Schulgesetz die Möglichkeit, aus siedlungsstrukturellen Gründen auch kleinere Schulen zu unterhalten – im Übrigen als einziger weiterführender Schulart. „So tragen die schulgesetzlichen Regelungen den infrastrukturellen Bedürfnissen des Flächenlands Rheinland-Pfalz Rechnung, werden wohnortnahe Bildungsangebote erhalten und zu weite Schulwege vermieden“, so die Bildungsministerin. Gleichzeitig lasse sich aus anderen gesetzlichen Regelungen – wie beispielsweise aus dem Privatschulgesetz und aus den Besoldungsbestimmungen für Schulleitungen der Realschule plus – stringent ableiten, dass einzügige Realschulen plus – im Gegensatz zu zweizügigen – auf Dauer nicht in Betrieb bleiben könnten.
Bei der Umsetzung der Schulstrukturreform 2009 sei ganz bewusst und ausdrücklich darauf verzichtet worden, bei bereits existierenden Schulen mit zwei Bildungsgängen, also bei den damaligen Regionalen Schulen und Dualen Oberschulen, die Mindestzügigkeit als zwingende Voraussetzung zur gesetzlichen Überführung in eine Realschule plus zu definieren. Vielmehr sollten alle Realschulen plus die Chance erhalten, unabhängig von festgelegten Schulbezirken über einen längeren Zeitraum mit ihren pädagogischen Konzepten um Zuspruch bei den Eltern zu werben. Gleichzeitig ergab sich durch die gesetzliche Überführung der Regionalen Schulen und Dualen Oberschulen eine gute Ausgangsbasis für die gewünschte Wahlmöglichkeit zwischen integrativen und kooperativen Schulangeboten.
Sicherung eines wohnortnahen Angebots an Realschulen plus
„Mit dem Abschluss der Schulstrukturreform in der Sekundarstufe I bietet es sich an, für die Folgezeit die schulgesetzlich erforderlichen Regelungen für Ausnahmen von der Mindestzügigkeit zu definieren“, kündigte Doris Ahnen an. Die „Leitlinien zum Erhalt eines wohnortnahen Angebots an Realschulen plus“ kämen erstmals zum Schuljahr 2014/15 zur Anwendung. Nach derzeitigem Stand würden sie auf rund 20 Realschulen plus angewendet.
Die Leitlinien setzten ein einzelfallbezogenes Vorgehen voraus, das Schulträgern auch die Möglichkeit einräume, durch organisatorische oder pädagogische Veränderungen an einer betroffenen Schule, wie zum Beispiel der Aufhebung von Dislozierungen (Zusammenführen von Schulen mit zwei Schulstandorten), dem Zusammenschluss benachbarter Schulen, durch Änderungen bei der Schülerbeförderung oder durch die Einführung eines Ganztagsschulangebots Einfluss auf zukünftige Anmeldezahlen zu nehmen. In einem solchen Fall könne die Schulbehörde ein Moratorium zwischen zwei und fünf Jahren erlassen, während dieser Zeit sei die Prüfung siedlungsstruktureller Gründe ausgesetzt.
Sollten solche Veränderungen nicht möglich oder der gewünschte Erfolg fraglich sein, laufe – möglichst in Übereinstimmung mit dem Schulträger – die schulgesetzlich vorgesehene Prüfung des schulischen Bedürfnisses für die betroffene Realschule plus an. Das umfangreiche Prüfverfahren berücksichtige dabei zunächst:
• die Erreichbarkeit anderer Realschulen plus in gleicher Schulform mit bestehenden oder einzurichtenden Linien des Öffentlichen Personennahverkehrs,
• die Aufnahmekapazität benachbarter Standorte sowie
• das regionale Angebot an Schwerpunktschulen und Ganztagsschulen.
Ergebe das Prüfverfahren, dass aus siedlungsstrukturellen Gründen ein dauerhaftes schulisches Bedürfnis für eine zweizügige Realschule plus besteht, bleibe die Realschule plus erhalten. Führten die bisherigen Prüfungsschritte aber zum Ergebnis, dass zunächst kein schulisches Bedürfnis aus siedlungsstrukturellen Gründen anzunehmen ist, der Schulträger aber weiterhin am Erhalt des Schulstandorts Interesse hat, werde die Prüfung weiter vertieft. Zunächst werde untersucht, ob die betroffene Realschule plus eine hohe Bindekraft für Kinder aus der Schulsitzgemeinde aufweise. Falls mindestens zwei Drittel der Schülerinnen und Schüler aus den örtlichen Grundschulen mit einer Empfehlung für die Bildungsgänge der Realschule plus die fünfte Klassenstufe der örtlichen Realschule plus besuchten, bleibe die Schule als zweizügige Realschule plus erhalten. „Damit fließt die Akzeptanz einer Schule bei Eltern, für deren Kinder das Schulangebot vorgehalten wird, in die Prüfung mit ein“, betonte Doris Ahnen. Zusätzlich könne auf Antrag des Schulträgers überprüft werden, inwieweit die betroffene Realschule plus eine wichtige Funktion im Rahmen einer zentralörtlichen Funktion des Schulstandorts habe. Diese Prüfung werde an Hand der vom Schulträger eingereichten Unterlagen und von Gutachten von Seiten der obersten Landesplanungsbehörde vorgenommen. Werde diese Prüfung von der Planungsbehörde positiv beschieden, dann könne der Standort ebenfalls bestehen bleiben.
Definitiv kein Schulschließungsprogramm
Die gewählte Vorgehensweise sowie das frühzeitige Einbeziehen des Schulträgers zeige eindeutig, dass es sich bei den „Leitlinien zur Sicherung eines wohnortnahen Angebots an Realschulen plus“ um ein individuelles, an regionalen Bedürfnissen orientiertes Verfahren handelt. „Die Leitlinien zeigen deutlich, dass es der Landesregierung mehr als fernliegt, bei Realschulen plus oder in anderen Schularten ein von manchen schon heraufbeschworenes Schulschließungsprogramm aufzulegen. Vielmehr brauchen wir im Land ein landesweit ausgewogenes Netz an Realschulen plus, Integrierten Gesamtschulen und Gymnasien, das den unterschiedlichen Regionen von Rheinland-Pfalz gerecht wird, das Schülerinnen und Schüler individuell fördert und zu möglichst guten Bildungsabschlüssen führt“, erklärte Bildungsministerin Doris Ahnen abschließend.
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