Rettung aus der Dunkelheit: Wie 800 Hennen im Westerwald dem Schlachthof entkommen
Von Eva Maria Hammer
REPORTAGE | Noch bevor die Sonne am Samstag, dem 29. November 2025, über den Westerwald steigen wird, herrscht auf einem landwirtschaftlichen Betrieb bereits reges Treiben. Im Dunkeln, während die Hennen noch schlafend auf den Stangen sitzen, wird die Arbeit einer Rettungstruppe beginnen - leise, konzentriert und mit einem Ziel: Leben zu retten. Rund 800 Legehennen sollen an diesem Tag übernommen werden, damit sie nicht - wie unzählige ihrer Artgenossinnen - im Schlachthof enden.

Westerwald. Für Hunderte Tiere wird dieser Morgen auf einem Betrieb im Westerwald den Beginn eines zweiten Lebens bedeuten - frei, artgerecht und würdevoll. Organisiert wird die Aktion von der Initiative "PLAnbe", die sich im Februar 2025 gegründet hat. Seitdem hat sie in fünf großen Rettungen rund 2.500 Tiere übernommen und vermittelt. "Nicht mitgerechnet sind zahlreiche kleinere Rettungen aus extrem schlechter Haltung sowie Tiere aus der "Rettungsbrücke" - das sind kranke oder aussortierte Hennen, die sonst zum Schlachthof gebracht würden.", so die Organisatorin. Unterstützung erhält die Initiative von einem Netzwerk engagierter Helfer, die eines verbindet: die Überzeugung, dass jedes Leben zählt.
Gut geplant und mit Herz: Wie Tierschützer Hennen ein neues Leben schenken
Was ruhig und routiniert wirkt, beruht auf einem präzise geplanten Einsatz, in dem jeder Handgriff sitzt. Bereits vor Tagesanbruch treffen sich alle Helfer am Stall. Schlafende Hennen lassen sich ruhiger und stressfreier fangen. Taschenlampen schneiden Lichtkegel durch die Dunkelheit, während die sogenannten "Stallläufer" die Hennen vorsichtig von den Stangen holen. Ein weiteres Team, die "Zähler", achtet darauf, dass die vorgeschriebene Zahl pro Box nicht überschritten wird. Ein erfahrener Kontrolltrupp tastet die Tiere ab. "Bezüglich des Gesundheitszustandes der Tiere haben wir schon ganz unterschiedliche Erfahrungen gemacht. Dabei können Hennen aus Mobilställen oder der "Freilandhaltung" entgegen der Erwartung ebenso gesundheitlich angeschlagen sein wie Tiere aus der "Bodenhaltung", erklären die Tierschützer.
Schwache oder erkrankte Tiere werden in Einzelboxen gesetzt und bei Bedarf vor Ort erstversorgt. Andere Helfer tragen die Boxen zu den Fahrzeugen, mit denen die Hennen anschließend zu Pflege- oder Endplätzen gebracht werden.
Obwohl die Arbeit körperlich anstrengend und emotional belastend ist, finden die Helfer ihre Motivation in den "magischen Momenten", wenn die Tiere in ihrem neuen Zuhause ankommen und erstmals ein wirkliches Hühnerleben mit Sonne, frischer Luft und Gras unter den Krallen erleben dürfen. Die Initiative möchte dadurch zeigen, dass ein Umgang mit Tieren auf Augenhöhe möglich ist.
Folgen der Hochleistungshaltung
Bei jeder Übernahme zeigt sich ein ähnliches Bild: Viele Hennen sind unterernährt, schlecht befiedert, verletzt oder verschmutzt. "Sehr oft sind die Tiere überaus verschmutzt und bekotet, da die Ställe meist nicht gereinigt werden. Sie leiden an Ballenabszessen und chronischen Harnsäureausscheidungen.", berichtet die Organisatorin. In der Enge der Ställe werden schwache Tiere beim Futter verdrängt, verlieren an Kraft und geben schließlich auf - selbst in Mobil- oder Bioställen sei dieses Leiden keine Ausnahme.
Typische Folgeerkrankungen der industriellen Haltung sind Schichteier, Bauchwassersucht, Ballenabszesse und Kropfverstopfungen. Manche Tiere weisen Wunden oder kahle Stellen im Gefieder auf. Die Tierschützer untersuchen daher jedes Tier einzeln; kranke oder stark geschwächte Hennen werden sofort separiert und - wenn nötig - noch vor Ort erstversorgt.
Schichteier entstehen, wenn ein Ei nicht durch den Legedarm gelangt und das nachfolgende Ei daraufliegt. Dies ist für die Henne äußerst schmerzhaft und kann häufig nur durch eine operative Entfernung durch einen Tierarzt behandelt werden. Bauchwassersucht tritt auf, wenn Eier im Legedarm zerbrechen und ihr Inhalt in den Bauchraum gelangt, was ebenfalls sehr schmerzhaft ist und Verklebungen der Gedärme verursachen kann.
Die Initiatorin erklärt: "Ein weiteres großes Problem gerade bei den Ausstallungen der Mobilställe ist die Tatsache, dass unter dem Stallgebäude ein Kotauffangbecken angebracht ist. Durch vorhandene Ritzen und beschädigte Befestigungen geraten die Tiere sehr oft zwischen den Boden des Stalles und die Beckenanlage oder fallen direkt in das Becken hinein und können dort nicht mehr herauskommen. Nur mit ganz viel Glück werden sie dort gefunden und gerettet, die meisten sterben dort qualvoll."
Die Initiative weist neue Halter auf diese gesundheitlichen Belastungen hin. Pflegeplätze nehmen die sogenannten "Päppelchen" auf - Hennen, die Zeit und intensive Betreuung brauchen, um sich zu erholen, bevor sie weitervermittelt werden können.
Von der Dunkelheit ins Leben
Nach der Rettung erholen sich viele Tiere sichtbar: Schlecht befiederte Hennen erhalten nach der nächsten Mauser ihr volles Gefieder, und blasse Kämme färben sich in der frischen Luft nach wenigen Tagen rot. Der Ausdruck ihrer Augen wird lebendig und neugierig. Trotz dieser schnellen Erholung bei artgerechter Haltung sind die Tiere durch die industrielle Haltung gezeichnet und können jederzeit schwere Krankheiten entwickeln. Ihre Lebenserwartung ist dadurch wesentlich geringer.
Fakten zur industriellen Haltung
In Deutschland werden jährlich rund 45 Millionen Legehennen gehalten. Nach 16 bis 20 Monaten gelten sie als "nicht mehr rentabel". Ihre Legeleistung sinkt, und sie werden gegen Junghennen ausgetauscht - ihr kurzes Leben endet im Schlachthof. Viele dieser Tiere sind kaum zwei Jahre alt, obwohl sie unter natürlichen Bedingungen bis zu zehn Jahre alt werden könnten.
"Die katastrophalen Zustände finden sich nicht nur in der sogenannten Bodenhaltung, sondern auch in anderen Formen der Massentierhaltung. Das größte Problem ist, dass Tiere, die wie wir Schmerz und Angst empfinden, für Profit und Konsum leiden müssen - und dass dies von der Gesellschaft weitgehend hingenommen wird", betont die Initiatorin.
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"PLAnbe" - der Plan B für Lebewesen
Der Name "PLAnbe" steht dafür, dass die Tiere nicht - wie im "Plan A" vorgesehen - als Abfall enden, sondern ein neues, artgerechtes Leben beginnen dürfen. Finanziert wird die Arbeit überwiegend durch Spenden und Eigenmittel - bei stetig steigenden Ausgaben für Futter, Transport und Tierarztkosten.
Der Kontakt zu den Betrieben entsteht aktiv: "Wir fragen per E-Mail oder Telefon, ob die Hennen an uns übergeben werden können, bevor sie zum Schlachthof fahren", sagt die Organisatorin. Sie fügt hinzu: "Wir wollen zeigen, dass diese Tiere mehr sind als Nummern in einer Produktionskette. Sie sind neugierig, sensibel und sozial - sie verdienen einen Plan B". Und weiter: "Das Ei ist nicht nur ein Lebensmittel. Eine Henne setzt ihren gesamten Körper ein, um es zu produzieren. Eine Industriehenne legt über 300 Eier im Jahr - weit mehr als die Natur vorgesehen hat".
Die Initiative hebt hervor, dass durch eine bewusste Ernährung, etwa vegane Mahlzeiten, die Ausbeutung von Hennen verringert und diesen Tieren ein Leben in Freiheit ermöglicht werden kann. Gleichzeitig machen die Tierschützer auf die moralische Frage aufmerksam: "Warum stellen wir unseren Konsum über das Leben und die Freiheit und die Gesundheit eines Tieres? Mit welchem Recht? Brauchen wir solche Massen an Eier für unseren täglichen Konsum?"
Ein Blick hinter das Ei
Sensibilisierung beginnt dort, wo Verbraucher bereit sind, genauer hinzusehen. Wer einem von der industriellen Haltung gezeichneten Tier begegnet, ihm in die Augen schaut oder seine ersten Schritte außerhalb der Enge beobachtet, versteht, was hinter den Produktionszahlen steht.
"Viele Verbraucher lassen sich durch Begriffe wie Freiland oder Bio täuschen", erklärt die Organisatorin. Auch in der Biolandwirtschaft würden große Bestände gehalten, in denen schwache Tiere ähnliche Krankheiten und Verhaltensstörungen entwickeln wie in anderen Haltungsformen. Die Initiative ruft dazu auf, sich dieser Realität bewusst zu werden - und das eigene Konsumverhalten kritisch zu hinterfragen.
Retten durch Miteinander
"PLAnbe" arbeitet bewusst kooperativ mit landwirtschaftlichen Betrieben, um die Rettungen zu ermöglichen, ohne Konflikte zu provozieren. Die Initiative bemüht sich um ein gutes kooperatives Verhältnis zu den Landwirten, um die Arbeit fortsetzen zu können. Dabei ist der Dialog entscheidend, um Konflikte in Bezug auf die Behandlung und Haltungsformen der Tiere zu vermeiden.
Um rechtlich abgesichert zu sein, führen die Helfer Transportscheine mit sich. Diese dokumentieren Herkunft, Anzahl und Ziel der Tiere und weisen nach, dass es sich um eine legale Rettung handelt.
Ein Nest für jede Henne
Wer Hennen aufnehmen möchte, kann sich direkt per E-Mail an das Team der Initiative wenden: sonderrettung.planbe@gmail.com
Im ersten Schritt geben Interessierte an, wie viele Tiere sie aufnehmen können, und senden Fotos oder Videos von Stall und Auslauf. Außerdem werden Angaben zu vorhandenen Tieren sowie zur Erreichbarkeit eines vogelkundigen Tierarztes benötigt.
Nach der Prüfung schließen die Adoptierenden mit der Initiative einen Schutzvertrag ab. Dieser verbietet wirtschaftliche Nutzung und Schlachtung, verpflichtet zur tierärztlichen Versorgung bei Krankheit, zur Impfung gegen die "Newcastle-Krankheit" sowie zur Anmeldung beim zuständigen Veterinäramt. Bei schweren, unbehandelbaren Leiden muss eine Euthanasie durch einen Tierarzt vorgenommen werden, um das Tier von weiterem Leiden zu erlösen.
Nicht jede Henne kann sofort in ihr neues Zuhause ziehen. Auf Pflegeplätzen erhalten die Tiere zunächst Ruhe, Nahrung und Betreuung, bis sie kräftig genug sind, um vermittelt zu werden.
Erlebnisse, die berühren
Viele Adoptanten berichten begeistert von ihren neuen Mitbewohnerinnen: Die Tiere werden zutraulich, picken Futter aus der Hand und suchen Nähe. Besonders Kinder lernen durch sie Empathie und Verantwortung.
Fotos und Erfahrungsberichte erreichen das Team regelmäßig - sie sind Motivation und Bestätigung zugleich. "Wenn man sieht, wie diese Tiere Vertrauen fassen, weiß man, dass sich jeder Aufwand lohnt", so das Fazit der Tierschützer.
Jetzt werden Transportboxen und Unterstützung gebraucht
Eine Rettung dieser Größenordnung ist eine logistische Herausforderung: Helfer müssen koordiniert, Routen geplant und Übergabeorte organisiert werden. Hinzu kommt ein akuter Engpass an Transportboxen.
Für die Rettung der rund 800 Hennen am 29. November reichen die vorhandenen Boxen nicht aus. Deshalb ruft die Initiative dringend zu Spenden oder Leihgaben von Transportboxen auf - ebenso zu Unterstützung bei Tierarztkosten und neuen Aufnahmeplätzen für die Tiere.
Spendenkonto: Sparkasse Marburg-Biedenkopf IBAN: DE18 5335 0000 1132 0046 80
Die Rettungsaktionen der "PLAnbe-Hühnerhelden" zeigen, dass Engagement Wirkung entfaltet. Gleichzeitig wird deutlich, dass noch viel zu tun bleibt: mehr Aufklärung, mehr Platz und mehr Mitgefühl.
Am 29. November erleben 800 Hennen zum ersten Mal Freiheit, Schutz, Wärme, Licht und Bewegungsfreiheit - ein Leben, das Millionen anderer Tiere in der industriellen Haltung verwehrt bleibt. (emh)
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