Werbung

Nachricht vom 23.08.2025    

Memorabilia - Die (fast) vergessenen Legenden: Fußball-Rekord der Germania Mudersbach

Von Niklas Hövelmann

KOLUMNE | Im Jahr 1943 stellt die Germania Mudersbach einen Allzeit-Rekord für Fußballdeutschland auf. Durch die Wirren der Zeit gelangte dieser niemals recht ins öffentliche Bewusstsein. 80 Jahre später sind die Protagonisten längst verstorben, ihre Geschichte versteckt in unauffindbar scheinenden Archiven, die Namen nahezu vergessen.

Original-Archivbild der Germania Mudersbach. (Quelle: Bürgerverein Mudersbach)

Westerwald. Fragt man heute ChatGPT, Grok, Google, oder eine beliebige andere Suchmaschine - mit oder ohne KI-Ausgabe - nach dem höchsten Erstliga-Sieg in Fußball-Deutschland, wird ausnahmslos jede von ihnen das 12:0 der Borussia aus Mönchengladbach gegen den BVB ausspucken. Ohne Frage eine beachtliche Klatsche.

Aber dennoch ist dieser Fakt grundfalsch. Hier liegt die Schwachstelle automatisierter Suchfunktionen: Sie geben die populärsten, unbedingt verfügbaren Antworten aus. Gräbt man tiefer, entdeckt man nur zu oft längst vergessene Geschichten, verleumdet und verdrängt aus dem öffentlichen Auge. Hier nun die wahre Geschichte des höchsten Erstliga-Siegs in Fußball-Deutschland.

Beginn des einheitlich organisierten Fußballs
Wir beginnen im Jahr 1942. Nachdem sich eine Monopolisierung des deutschen Fußballs unter dem DFB bereits angebahnt hatte, wurde mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Jahr 1933 ein solches System umgesetzt. Das neue System, das die gestaffelten Ligen in der Spitze auf die Gauligen zulaufen ließ, deren Sieger dann wiederum in einem K.O.-Turnier die Deutsche Meisterschaft unter sich ausmachten, ist der Beginn des einheitlich organisierten Fußballs in Deutschland.

Doch wie so ziemlich alles erntete diese sportliche Revolution neben Zuspruch auch einiges an Kritik. So stellte die schiere Masse der Erstligapartien, die in der Regel sonntags stattfanden, die Nationaltrainer Otto Nerz und später Sepp Herberger vor große Herausforderungen. Auch die Organisation gestaltete sich in der Praxis alles andere als einfach.

Im Sommer 1942 konnte nach diversen Anstrengungen endlich die 1. Klasse, die damals im System zweithöchste Liga, im Gebiet Altenkirchen abgeschlossen werden. Zwei Mannschaften hatten sich im Laufe der Saison aus dem Spielbetrieb zurückgezogen. Mit der RSG Betzdorf folgte kurz vor Saisonende der dritte Kandidat, der aus dem laufenden Ligabetrieb ausschied. Also im Grunde Zustände, wie wir sie seit einigen Jahren in der Regionalliga West erleben. Die Teams zogen sich zurück und die große Punkterechnerei begann. Am Ende des Prozesses stand die Germania Mudersbach ganz oben und wurde qualifiziert für die Aufstiegsspiele zur Gauliga Moselland. Gegner im Hin- und Rückspiel sollte der SC Moselweiß aus Koblenz sein.

Sportliche Erfolge und Niederlagen
Am 2. August 1942 reiste die Mudersbacher Mannschaft an den Rhein, um sich eine möglichst gute Ausgangsposition für das Finale zu erarbeiten. Doch dazu kam es gar nicht mehr: Die Mudersbacher lieferten eine dermaßen dominante Leistung in Koblenz ab, dass der SC Moselweiß auf den – damals noch sehr beschwerlichen – Weg an die obere Sieg verzichtete. Somit bedeutete der 9:2-Auswärtssieg den Aufstieg für das Team um Matchwinner Aloys Simon. Der Routinier des heutigen Bezirksligisten war mit sieben Treffern der treibende Faktor für den Aufstieg in die Erstklassigkeit. Die lokale Presse überschlug sich in Euphorie. Auch in Mudersbach hielt die Begeisterung an.

Zur Generalprobe vor dem geplanten Saisonstart am 27. September 1942 bot man auswärts bei der RSG Betzdorf ein großes Brimborium auf. Dennoch misslang der Test: mit einem 2:2 gegen den Rückzieher aus der 1. Klasse im Rücken war die Enttäuschung groß, sollte doch im Anschluss der Top-Favorit aus Koblenz, die TuS Neuendorf (die heutige TuS Koblenz) um Nationalspieler Jupp Gauchel auf die "Gelbblusen" warten. Weil die Neuendorfer jedoch einige Abstellungen an die Auswahlmannschaft zu beklagen hatten, wurde das Spiel kurzerhand verschoben. Stattdessen startete die Saison in der sechs Mannschaften umfassenden Gauliga Moselland Staffel Ost für die Mudersbacher am 4. Oktober zu Hause auf dem Dammicht gegen die SpVg. Andernach. Nachdem man hier trotz diverser Kriegsurlauber mit 1:4 abgestraft wurde, ging man in der Folgewoche sang- und klanglos 0:6 gegen die Neuendorfer im Nachholspiel unter.

Personelle und taktische Veränderungen
Der Verein reagierte mit personellen und taktischen Veränderungen. Mit Erfolg: Gegen Viktoria Neuwied konnte ein beachtlicher 4:0-Erfolg vor heimischer Kulisse eingefahren werden, ehe man gegen den Vorjahressieger Eintracht Bad Kreuznach als krasser Außenseiter trotz 2:4-Niederlage einen großen Kampf zeigte. Karl Neuser zeichnete sich mit seinen Leistungen besonders aus. Gegen Neuwied schoss die Leihgabe Neuser, der sonst beim SC 09 Brachbach mit seinem Bruder Franz auf Torejagd ging, gar alle vier Tore. Doch seine wahre Sternstunde sollte noch kommen.

Es sollte das Heimspiel gegen den FV Engers folgen. Doch am 8. November wartete das Team lange Stunden auf dem Platz am oberen Ende des Dorfs auf die Gäste aus dem heutigen Neuwieder Stadtteil. Als diese mit ordentlich Verspätung endlich ankamen, ließen die Lichtverhältnisse kein Fußballspiel mehr zu, sodass der FV Engers unverrichteter Dinge wieder abziehen musste. Die Punkte wurden dem Gastgeber zugesprochen, das Spiel als Sieg gewertet. Als Tabellenvierter beschloss man so die Hinrunde.

In die Rückrunde startete man katastrophal mit einer 4:5-Niederlage gegen die bis dahin punktlose Viktoria aus Neuwied. Am grünen Tisch sicherte man sich in den Wochen vor Silvester dennoch den Klassenerhalt – so glaubte man. Zunächst gab die SpVg. Andernach kampflos auf, danach wartete man erneut vergebens auf den Gegner. Ohne Absage tauchte die Bad Kreuznacher Eintracht erst gar nicht auf. Während die Neuwieder Viktoria zu diesem Zeitpunkt mit einem einzigen Sieg schon sicher abgestiegen war, hätte der Germania ein einzelner Punktgewinn in den verbleibenden beiden Spielen zum Klassenerhalt gereicht, Engers derweil hätte seine finalen Spiele alle gewinnen müssen.



Am 28. Dezember kam dann die Hiobsbotschaft:
Der Gaufachwart widerrief die Wertung der beiden ausgefallenen Heimspiele zugunsten der Mudersbacher. Engers und Bad Kreuznach hatten Beschwerde gegen die Wertung eingelegt. Der Fachwart gab ihrer Erklärung, die Witterungsverhältnisse machten die Anreise an die obere Sieg unzumutbar, statt. Eine Anreise über mehrere Tage sei den beiden Teams nicht zuzumuten gewesen, die Spiele würden im neuen Jahr neu angesetzt. Dem Standpunkt, dass die Siegtaler die gleichen Reiseschwierigkeiten hätten, räumte man keinen Wert ein. Plötzlich stand die Germania Mudersbach mit lediglich zwei Siegen auf dem zweiten Abstiegsplatz, mit düsteren Aussichten. Um die Klasse zu halten, müssten mindestens drei Punkte gegen Engers geholt werden. Die restlichen beiden Spiele gegen die Top-Favoriten aus Neuendorf und Bad Kreuznach waren schließlich realistisch gesehen nicht zu gewinnen.

FV Engers unter hohem Druck
Der 17. Januar 1943 war der Erste der beiden Entscheidungstage für die Germania. Auswärts in Engers. Gegen den FV. Doch anstatt den Heimvorteil zu nutzen, ging der FV Engers komplett unter. Durch diese 6:2-Niederlage war der Fußballverein in akutem Zugzwang. Zum Siegen verdammt. Die heimische Presse war heiß auf das Entscheidungsspiel in der Folgewoche. Es wurde eine wahre Fußballschlacht auf dem Dammicht erwartet. Ein Spiel auf Augenhöhe, bei dem sich beide Teams nichts schenken würden.

An dem mit Spannung erwarteten Sonntag stand der TuS Germania Mudersbach in Bestbesetzung bereit: Alt-Star Aloys Simon, der Senkrechtstarter Karl Neuser sowie Mittelstürmer Franz Utsch. Auch die Kriegsurlauber waren wieder dabei. Als der FV Engers eintraf, deutete sich schon an, was in den folgenden Stunden geschehen würde.

Mit stark ersatzgeschwächtem Kader, der mehrheitlich aus Jugendspielern bestand, musste sich der heutige Oberligist dem heimischen Aufgebot stellen. Das tat er zunächst noch recht erfolgreich. In den ersten Minuten lief der Verein gut an, erspielte sich seine Chancen und stellte den gegnerischen Schlussmann Hermann Seiler vor Herausforderungen. Doch nach fünf Minuten startete das Debakel: Ball um Ball hämmerte die Germania in die Maschen des nicht zu beneidenden Engerser Torhüters. Zur Halbzeit stand es bereits 14:0. In den zweiten 45 Minuten legten sie sogar noch einen Gang drauf.

Der höchste Sieg in einem deutschen Erstliga-Spiel
32:0 lautete der Endstand. Der höchste Sieg in einem deutschen Erstliga-Spiel. Ein Rekord, der noch heute gültig ist und auch so bald nicht gebrochen werden wird. Besonders zeichnete sich dabei Karl Neuser aus: Sage und schreibe 16 Tore schoss der Straßenbauer in dem einen Spiel, der halbrechte Stürmer Theo Borr – der wie einige seiner Mannschaftskameraden beruflich in der Siegtalbrauerei tätig war - traf siebenmal, Aloys Simon schnürte den Hattrick.

In einer lokalen Legende liest sich der Grund, warum der FV Engers lediglich mit zwei Stammspielern anreiste, jedoch deutlich anders als in den Zeitungsberichten der Zeit, die von allgemeinen Ausfällen berichten. Angeblich kam es im Nachgang der Partie in Engers zu regelrechten Prügelszenen gegen die mitgereisten Mudersbacher Fans. Aus Angst vor der womöglichen Rache der Siegerländer soll sich daher der überwältigende Teil der Stammspieler des FV vor einer Reise an die Sieg gedrückt haben.

Was auch immer nun der wahre Grund gewesen sein mag, Verletzungssorgen, Demotivation ob der schweren Aufgabe, oder tatsächlich die Angst vor Gewalt, man muss dem Verein schon zugutehalten, dass er der Ehre halber dennoch den beschwerlichen Weg auf sich nahm und so Anteil an diesem – womöglich ewigen – Rekord hatte.

Überraschend konnte der FV Engers dennoch die Klasse halten: Weil die SpVg. Andernach sich freiwillig zurückzog, starteten die "Grünhemden" in der nächsten Saison wieder in der höchsten Spielklasse.

Der TuS Neuendorf, der sich schon im Januar weit überlegen die Meisterschaft gesichert hatte, schied im Finalturnier der Gaumeister um die Deutsche Meisterschaft übrigens bereits in der ersten Runde gegen den SV Viktoria Köln mit 0:2 aus.

Bürgerverein interviewt Zeitzeugen
Dass die Erinnerungen an diese unglaubliche Geschichte noch nicht ganz erloschen sind, verdanken wir zuvorderst dem Bürgerverein Mudersbach. Die Aufzeichnungen in den Archiven gingen großteils schon am Ende des Krieges verloren. Dem Bürgerverein gelang es anhand zur Verfügung gestellter Briefe aus den Nachlässen und im Interview mit den letzten Zeitzeugen, die recht mageren Zeitungsberichte der Zeit mit neuem Leben zu füllen. Seine 2021 erschienene Chronik hatte entscheidenden Anteil daran, die Protagonisten des 24. Januar 1943 für diesen Artikel wiederzuentdecken. (Niklas Hövelmann)


Mehr dazu:   Sport  
Feedback: Hinweise an die Redaktion

.: Neu bei Instagram :. => @kuriere_news

Anmeldung zum WW-Kurier Newsletter


Mit unserem kostenlosen Newsletter erhalten Sie täglich einen Überblick über die aktuellen Nachrichten aus dem Westerwaldkreis.

» zur Anmeldung



Aktuelle Artikel aus Region


Dreifach-Mörder von Weitefeld: Versteck im Betonrohr entdeckt

Nach monatelanger Suche gibt es neue Erkenntnisse zum Dreifachmord in Weitefeld. Der 61-jährige Tatverdächtige, ...

Herborner Stadtpark verwandelt sich in ein Kinderparadies

Am Sonntag, dem 31. August, lädt Herborn zu einem besonderen Ereignis im Stadtpark ein. Das beliebte ...

Jubiläumsbesuch aus Higham Ferrers in Hachenburg

Mitte August empfing Hachenburg eine Delegation aus der Partnerstadt Higham Ferrers. Der Besuch stand ...

Zwei Neuseeländer on Tour: Eine abenteuerliche Reise bis in die Tiefen des Westerwalds

Vom Reisefieber gepackt, stürzen sich zwei reisefreudige Neuseeländer in ein unvergessliches Abenteuer. ...

Neue Regeln für Balkonkraftwerke in Miet- und Eigentumswohnungen

Balkonkraftwerke, auch bekannt als Steckersolargeräte, sind bei vielen Menschen beliebt, da sie eine ...

Spielenachmittag im Welschneudorfer Erzählcafé

Am 28. August 2025 wird das beliebte Erzählcafé in Welschneudorf wieder seine Türen öffnen. Besucher ...

Weitere Artikel


Dreifach-Mörder von Weitefeld: Versteck im Betonrohr entdeckt

Nach monatelanger Suche gibt es neue Erkenntnisse zum Dreifachmord in Weitefeld. Der 61-jährige Tatverdächtige, ...

Bätzing-Lichtenthäler triumphiert bei SPD-Wahl in Rheinland-Pfalz

Sabine Bätzing-Lichtenthäler hat erneut das Vertrauen der rheinland-pfälzischen SPD erhalten. Mit einem ...

SPD Rheinland-Pfalz startet mit Kampfgeist in den Wahlkampf

Die SPD Rheinland-Pfalz hat auf ihrem Parteitag in Idar-Oberstein die Weichen für den bevorstehenden ...

Wirtschaftsdialog in Hachenburg: Energiewende und ihre Auswirkungen auf Unternehmen

Am 1. September 2025 lädt die Verbandsgemeinde Hachenburg zu einem bedeutenden Wirtschaftsdialog ein. ...

Tradition trifft Innovation: FOTO OEHL im Wandel der Zeit

FOTO OEHL ist seit Jahrzehnten ein fester Bestandteil der Hachenburger Fotografie-Szene. Bei einem Unternehmensbesuch ...

Werbung