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Nachricht vom 12.08.2025    

Mysteriöser YOGTZE-Fall im Siegerland: 40 Jahre lang blieb der Tod ein Rätsel

Von Regina Morkramer

Günter Stoll ist am 26. Oktober 1984 schwer verletzt und nackt in seinem Auto auf der Autobahn 45 kurz vor der Ausfahrt Hagen-Süd gefunden worden; kurz darauf starb der 34-Jährige. Jahrzehntelang war unklar, was in dieser Nacht geschehen war. Im April dieses Jahres erklärten Staatsanwaltschaft und Polizei den sogenannten "YOGTZE"-Fall als gelöst.

Das Fahrzeug von Günter Stoll. Die Aufnahme ist in der Fahrzeughalle der damaligen kriminaltechnischen Untersuchungsstelle der Hagener Polizei entstanden. (Foto: Polizei Hagen)

Siegen. Mehr als 40 Jahre lang war dieser "Cold Case" ein Mysterium. Er wurde in der ZDF-Fernsehsendung "Aktenzeichen XY… ungelöst" vorgestellt, war Thema verschiedener "True Crime"-Podcasts, es gibt einen eigenen Wikipedia-Eintrag dazu. Mehrfach griff die Presse den Fall in den vergangenen Jahrzehnten auf und in den sozialen Medien wurde er ebenfalls immer wieder thematisiert. Doch niemals konnte aufgeklärt werden, warum und wie Günter Stoll aus Anzhausen im Kreis Siegen-Wittgenstein im Oktober 1984 auf einer Autobahn in der Nähe von Hagen ums Leben kam - und warum er im Vorfeld auf einem Zettel die Buchstabenkombination "YOGTZE" notierte. Erst am 3. April 2025 erklärten Polizei und Staatsanwaltschaft Hagen den Fall als gelöst, nachdem nach Aussage der Polizei Ermittlungen "zu einer neuen Faktenlage hinsichtlich des Todes von Günter Stoll aus dem Siegerland geführt" haben.

Im Oktober 1984 war Günter Stoll 34 Jahre alt, verheiratet und Vater einer Tochter. Der arbeitslose Lebensmitteltechniker sprach seiner Frau gegenüber seit Monaten davon, verfolgt zu werden; "er äußerte gegenüber seiner Frau die Befürchtung, dass ihm jemand etwas antun wolle", so die Polizei. Am Abend des 25. Oktober 1984 verließ er das gemeinsame Haus und zeigte in den Stunden darauf laut Polizei "auffälliges Verhalten": In einer Gaststätte fiel er zu Boden, ohne erkennbaren Grund und ohne einen Schluck Alkohol getrunken zu haben. Kurz darauf suchte er eine ältere Bekannte in der Straße seiner Eltern auf, die ihn aber nicht hineinließ. Er soll panisch gewirkt haben. Stunden später, mitten in der Nacht, fanden schließlich zwei Lkw-Fahrer Günter Stoll auf der Autobahn 45 in der Nähe der Anschlussstelle Hagen-Süd schwer verletzt und nackt auf dem Beifahrersitz seines Autos, das in einer Böschung stand. Kurz darauf starb er aufgrund seiner Verletzungen in einem Hagener Krankenhaus.

Was bedeutet "YOGTZE"?
Lange Zeit ging man in dem Fall von einem Gewaltverbrechen aus, selbst die polizeilichen Ermittlungen und Gutachten bestätigten die Theorie. So soll nicht der Unfall auf der A 45 die Ursache für Günter Stolls Tod gewesen sein, sondern er soll zuvor mehrfach von einem fremden Fahrzeug überrollt worden sein, hieß es damals. Den beiden Lkw-Fahrern, die Stoll gefunden hatten, zufolge soll er noch im Auto von fremden Männern gesprochen haben, die "abgehauen" sein sollen.

Nach Aussage seiner Ehefrau habe er zudem kurz vor seinem Tod die Buchstaben "YOGTZE" auf einen Zettel geschrieben, was zu Spekulationen und Lösungsansätzen bei Ermittlern und Öffentlichkeit führte, denn niemand kannte die Bedeutung. Über die Jahrzehnte gingen dazu auch immer wieder Hinweise bei der Polizei ein. Dem Zettel beziehungsweise den notierten Buchstaben wurde ein solches Gewicht zugemessen, dass der Fall schließlich auch als "YOGTZE"-Fall bekannt wurde. Doch die Bedeutung der Buchstaben wurde nie geklärt, so wie auch alle anderen Spuren bei den Ermittlungen ins Nichts führten.

Ein Unfall, kein Verbrechen
Jetzt, mehr als 40 Jahre nach Günter Stolls Tod, stellt sich der Fall ganz anders dar. "Während frühere Ermittlungen und Gutachten lange Zeit von einem Verbrechen ausgingen, ermöglichen neue Auswertungen nun eine genauere Beurteilung der Ereignisse", heißt es von der Polizei. "Weder die Spurenlage noch Zeugenaussagen konnten letztlich eine Fremdeinwirkung bestätigen." Stattdessen gehen die Ermittler mittlerweile von einem selbstverschuldeten Verkehrsunfall aus. Günter Stoll "litt unter Depressionen und befand sich kurz vor seinem Tod sehr wahrscheinlich in einem psychischen Ausnahmezustand, der sein auffälliges Verhalten an diesem Abend plausibel macht." Bei dem Unfall auf der A45 sei Stoll von der Fahrbahn abgekommen und ungebremst mit seinem Fahrzeug in einer Böschung gegen einen Baum gefahren. Die Tatsache, dass er unbekleidet war, sei "sehr wahrscheinlich ebenfalls auf seine psychische Verfassung zurückzuführen."



Und der Zettel mit der Buchstabenkombination "YOGTZE"? Er spielt in dem Fall offenbar gar keine Rolle: "Die Bedeutung des Wortes 'YOGTZE' wird dabei als nicht relevant für den Geschehensablauf beziehungsweise die Todesursache eingestuft", erklärt die Polizei. "Staatsanwaltschaft Hagen und Polizei Hagen schließen im Ergebnis damit ein Verbrechen aus und gehen von einem Verkehrsunfall ohne Fremdeinwirkung aus."

Darum wurde der Fall nach 40 Jahren aufgeklärt
Obwohl der Fall über die Jahrzehnte hinweg bei Polizei und auch in der Öffentlichkeit immer präsent blieb, führten erst erneute Ermittlungen nach mehr als 40 Jahren zu seiner Auflösung. Großen Anteil daran hatte Kriminaloberkommissarin Maike Schmidt bei der Polizei Hagen. "Die erneute Bearbeitung des Falls erfolgte im Rahmen eines Patenschaftsmodells zwischen aktiven Polizeibeamten und sogenannten Rentner-Cops", erfährt man von der Polizei Hagen auf Anfrage. Kriminaloberkommissarin Maike Schmidt fungierte hierbei als Ansprechpartnerin für einen pensionierten Ermittler, der den Fall Stoll bearbeitete. Da dieser kurz vor der Rückgabe des Falls stand und Schmidt bei einem ersten Aktenstudium Unstimmigkeiten auffielen, bat sie laut Polizei darum, den Fall offiziell übernehmen zu dürfen.

"Kriminalbeamtin Schmidt sichtete die umfangreichen Ermittlungsakten vollständig neu und sicherte die noch vorhandenen Asservate. Dabei stellte sie fest, dass das ursprüngliche Gutachten von 1984 - welches von einem Tötungsdelikt durch Überfahren ausging - nie rechtsmedizinisch validiert worden war", führt die Polizei weiter aus. Doch genau dieses Gutachten hatte die Ermittlungen jahrzehntelang auf eine falsche Fährte geführt. "Durch die erneute rechtsmedizinische Begutachtung konnte nun ein Unfallgeschehen als Todesursache nachvollziehbar dargelegt und ein Fremdverschulden ausgeschlossen werden."

Jetzt gibt es zwei neue Gutachten, die bestätigen, dass Günter Stolls Verletzungen zu einem selbstverschuldeten Verkehrsunfall passen. Die Theorie, dass er vor seinem Tod von einem fremden Fahrzeug überrollt wurde, kann den neuen Erkenntnissen zufolge ausgeschlossen werden. Zudem ergaben DNA-Untersuchungen, dass keine fremden Spuren am oder im Fahrzeug nachweisbar waren. "Diese Ergebnisse ließen keine tragfähigen Anhaltspunkte für ein Fremdverschulden mehr erkennen, weshalb die Mordtheorie verworfen wurde", so die Polizei weiter.

Ein emotionaler Fall
Günter Stolls Familie wurde im Vorfeld der Veröffentlichung persönlich durch Kriminaloberkommissarin Maike Schmidt über die neuen Erkenntnisse informiert. Die Reaktionen der Angehörigen waren dabei laut Polizei geprägt von "Erleichterung und Dankbarkeit, insbesondere für die nunmehr vorhandene Gewissheit nach über 40 Jahren der Unklarheit." Die Ehefrau des Verstorbenen ist mittlerweile verstorben, die gemeinsame Tochter lebt noch.

Kriminaloberkommissarin Schmidt betont, in diesem besonderen Fall lediglich ihre dienstliche Pflicht erfüllt zu haben. Doch auch sie sagt, dass der Fall sie emotional berührt habe und sie freue sich darüber, dass er nun abgeschlossen sei. Die Beamtin geht nun wieder den Aufgaben ihres originären Arbeitsbereiches nach, der vorrangig sexualstrafrechtliche Delikte im Kindes- und Jugendbereich umfasst. (rm)


Mehr dazu:   Blaulicht  
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