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Nachricht vom 28.07.2025    

Klarer Wandel: Verabschieden sich die Deutschen langsam vom Bargeld?

RATGEBER | Bargeld war in Deutschland lange mehr als nur ein Zahlungsmittel. Es war eine Gewohnheit, ein Stück Unabhängigkeit, vielleicht sogar ein Ausdruck nationaler Identität. Der Klang von klimpernden Münzen im Portemonnaie, der Griff in die Scheinfächer an der Supermarktkasse. Das hatte etwas Beruhigendes. Doch diese Rituale geraten ins Wanken. Still, aber deutlich. Denn Deutschland verabschiedet sich, wenn auch zögerlich, vom Bargeld.

Symbolfoto (KI generiert)

Wie sich das Zahlungsverhalten in Deutschland verändert
Der Wandel vollzieht sich nicht über Nacht, aber er ist unaufhaltsam. Noch 2008 wurden rund 83 Prozent aller alltäglichen Zahlungen mit Bargeld getätigt. 2023 liegt dieser Anteil nur noch knapp über der 50-Prozent-Marke und der Trend zeigt klar in Richtung Karte, Smartphone und Co.

Debitkarten haben sich dabei besonders hervorgetan. Sie übernehmen inzwischen rund ein Viertel aller Transaktionen im Land. Mobile Payment hat sich ebenfalls aus der Nische geschält, vor allem bei jungen Menschen, die lieber mit dem Daumen über das Display wischen als in der Hosentasche nach Kleingeld zu suchen. Der Supermarkt, das Café an der Ecke und selbst der Brötchenstand auf dem Wochenmarkt. Fast überall kann man mittlerweile mit Karte oder Handy bezahlen.

Selbst in Bereichen, die früher auf Bargeld fixiert waren, vollzieht sich der Wandel. Ein Beispiel dafür sind Casinos mit schneller Bezahlung, in denen die digitale Abwicklung von Einsätzen und Auszahlungen mittlerweile Standard ist. Die internetaffine Zielgruppe des Online-Glücksspiels ist aber auch generell nicht die Kategorie Mensch, die lange am Bargeld festgehalten hat.

Diese Entwicklung ist nicht nur technisch motiviert. Die Pandemie hat kräftig mitgeschoben. Kontaktloses Zahlen galt plötzlich als hygienisch, bargeldlos wurde zur neuen Rücksichtnahme. Aber auch jenseits von Viren und Vorsicht: Bequemlichkeit, Geschwindigkeit und die wachsende Gewöhnung an digitale Prozesse treiben den Wandel voran.

Im europäischen Vergleich hinkt Deutschland dennoch hinterher. Während in Skandinavien oder den Niederlanden digitales Bezahlen längst selbstverständlich ist, tastet sich die Bundesrepublik vorsichtig voran, wie jemand, der im flachen Wasser stehen bleibt, während die anderen längst schwimmen.

Das Bargeld-Paradox
So viel digitaler Fortschritt und doch liegen Milliarden an Bargeld in deutschen Haushalten. Über 395 Milliarden Euro, schätzt die Bundesbank, befinden sich im Umlauf. Ein Großteil davon verschwindet nicht an der Supermarktkasse, sondern in Schubladen, Matratzen oder Safes. Rund 42 Prozent dieses Betrags wird nicht zum Bezahlen genutzt, sondern gehortet.

Dieses Verhalten wirkt auf den ersten Blick widersprüchlich, offenbart aber viel über das Verhältnis der Deutschen zum Geld. Bargeld steht für Kontrolle, Sicherheit, Krisenvorsorge. Wer Euro-Scheine zu Hause lagert, ist unabhängig von Stromausfällen, Serverproblemen oder digitalen Ausfällen. Und irgendwie ist es auch beruhigend zu wissen, dass man noch „echtes Geld“ in der Hand hat. Ganz ohne Akku, WLAN oder PIN.

Unterschiede zwischen Generationen, Einkommen und Regionen
Der Abschied vom Bargeld verläuft alles andere als gleichmäßig. Ältere Menschen, besonders über 60, bleiben dem Bargeld oft treu. Gewohnheit, fehlende Technikaffinität und ein gewisses Misstrauen gegenüber digitalen Zahlungsmitteln spielen dabei eine Rolle. Sie vertrauen dem, was sie anfassen können und das ist nun mal der Schein, nicht das Symbol auf dem Display.

Ganz anders sieht es bei den Jüngeren aus. Wer mit dem Smartphone aufgewachsen ist, denkt beim Einkaufen selten an Bargeld. Apps, Onlinebanking und kontaktlose Bezahlung gehören zum Alltag. Das Portemonnaie bleibt öfter zu Hause, ersetzt durch das Smartphone oder die Smartwatch.

Auch Einkommen und Lebensumstände beeinflussen das Zahlungsverhalten. Menschen mit geringem Einkommen zahlen häufiger bar. Oft fehlt eine Kreditkarte oder das Vertrauen in Online-Systeme. Bargeld hilft, den Überblick zu behalten und Ausgaben besser zu kontrollieren. Wer hingegen gut verdient, lebt häufiger digital. Nicht zuletzt wegen der Bequemlichkeit.

Regionale Unterschiede runden das Bild ab. In Städten ist digitales Bezahlen längst Alltag. Auf dem Land hingegen, wo Automaten rar sind und die Netzanbindung oft zu wünschen übrig lässt, hält sich Bargeld hartnäckiger.

Was spricht für und gegen Bargeld im Alltag
Bargeld hat durchaus seine Qualitäten. Es hilft beim Budgetieren, schützt die Privatsphäre und funktioniert auch dann, wenn Technik streikt. Keine PIN, keine App, keine Verbindung nötig. Gleichzeitig ist es anfällig: Verlorenes Bargeld ist verloren. Es lässt sich weder sperren noch zurückbuchen. Und wer größere Summen transportiert, fühlt sich schnell wie in einem Krimi.

Digitale Zahlmethoden punkten mit Schnelligkeit, Nachvollziehbarkeit und Bequemlichkeit. Kein Kleingeldgezähle, kein Schlangestehen an der Kasse wegen fehlender Münzen. Der Kontostand ist jederzeit einsehbar, Ausgaben lassen sich leicht kategorisieren, zumindest, wenn man die Kontrolle nicht aus der Hand gibt.

Weniger Scheine, mehr Spannung
Der Handel ist kein bloßer Mitläufer in diesem Wandel, er ist einer der Hauptmotoren. Immer mehr Geschäfte rüsten auf und akzeptieren digitale Zahlungen. Mobile Kartenterminals sind erschwinglich geworden, Apps machen das Abkassieren leicht und Kundinnen und Kunden erwarten zunehmend, bargeldlos zahlen zu können.
Zugleich schrumpft die Bargeld-Infrastruktur. Bankfilialen schließen, Geldautomaten verschwinden besonders in ländlichen Regionen. Für Menschen ohne Auto oder Mobilgerät wird es schwieriger, an Bargeld zu kommen.

Dieser Rückzug aus der Fläche wirkt wie ein schleichender Druck, sich dem digitalen System anzupassen. Auch der öffentliche Sektor zeigt sich zwiegespalten. Während manche Behörden auf bargeldlose Zahlung umstellen, bestehen andere weiterhin auf Barzahlung.

Ist das Bargeld in Gefahr oder einfach nur im Wandel?
Politisch ist das Thema sensibel. Einerseits gibt es Bestrebungen, digitales Zahlen weiter zu fördern. Die Idee einer Akzeptanzpflicht für Kartenzahlungen im Einzelhandel wird diskutiert. Andererseits steht das Bargeldrecht zur Debatte. Also das Recht, jederzeit mit Bargeld zahlen zu dürfen.

Die Bundesbank gibt sich gelassen. Bargeld sei gesetzliches Zahlungsmittel und solle es bleiben. Gleichzeitig bastelt die Europäische Zentralbank an einem digitalen Euro, einer Art digitalem Bargeld, das direkt von der Zentralbank ausgegeben wird. Ziel ist es, eine staatlich kontrollierte Alternative zu privaten Bezahldiensten zu schaffen.
Die Gesellschaft ist gespalten. Etwa ein Viertel kann sich eine Zukunft ohne Bargeld vorstellen. Die Mehrheit hingegen will die Wahlfreiheit behalten.

Was bleibt und was kommt
Eines ist klar: Bargeld verschwindet nicht von heute auf morgen. Es wird bleiben, aber seine Rolle wird sich in der Kultur verändern. Prognosen gehen davon aus, dass der Anteil an alltäglichen Zahlungen in den nächsten zehn Jahren deutlich unter die 20-Prozent-Marke sinken wird.

Digitale Alternativen werden dominieren. Biometrische Zahlmethoden, digitale Wallets, Wearables. Was heute noch nach Zukunft klingt, wird bald Alltag sein. Der digitale Euro könnte zum Symbol dieses Wandels werden. Eine neue Form von Bargeld, aber eben ohne Scheine und Münzen.

Was dabei nicht verloren gehen darf, ist der Zugang für alle. Denn wer nicht digital mitspielen kann oder will, darf nicht einfach abgehängt werden. (prm)



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