Buchtipp: „Der Westerwald - Naturgeschichte eines rheinischen Mittelgebirges“
Von Helmi Tischler-Venter
Herausgegeben wurde das Grundlagenwerk von dem profunden Westerwaldkenner Hermann Joseph Roth unter Mitwirkung von Bruno P. Kremer aus Linz und weiteren Fachleuten. Der Sammelband darf sich rühmen, die erste das Gesamtgebiet des Westerwaldes umfassende „Naturgeschichte“ zu sein. Die Autoren hoffen jedoch auf daran anschließende Forschungen.
Dierdorf/Stuttgart. Roth und Kremer sprechen bewusst von „Naturgeschichte“ oder „Naturkunde“ und stellen der üblichen Spezialisierung einen interdisziplinären Ansatz entgegen. Dabei haben sie die herkömmliche Sammelbezeichnung eingeengt auf Lebens- (Botanik, Zoologie) und Erdwissenschaften (Geologie, Paläontologie), samt Hinweisen auf mineralogische und klimatische Erscheinungen sowie ökologische Zusammenhänge.
Eine Karte aus dem 11. Jahrhundert bezeichnet mit „Westerwald“ ein paar Länder westlich des Königshofes von Herborn. Seit mehr als hundert Jahren wird der Westerwald als Schiefergebirgsflügel zwischen den Flüssen Rhein, Sieg, Lahn und Dill kartiert. Der westliche oder „Rheinwesterwald“ ist ein rund 40 Kilometer langes Talterrassenband des Rheins sowie sein angrenzendes Hinterland vom Siebengebirge bis zum Rheintal. Der Vorderwesterwald schließt das wellige Hochland zwischen dem Rheinwesterwald im Westen, dem Siegtal im Norden, dem Oberwesterwald im Osten und dem Montabaurer Westerwald im Süden ein. Zum südlichen oder Unterwesterwald gehört auch das rund 120 Quadratkilometer große, bedeutende Kannenbäckerland.
Ton, das „Weiße Gold“ verlieh der Region zwischen Höhr-Grenzhausen und Staudt ihren Namen. Die Tone sind aus der Verwitterungsrinde des Unterdevons hervorgegangen. Die devonischen Ablagerungen hat den Westerwald zu einem der klassischen Gebiete für die geologische Devonforschung werden lassen, reiche Fossilfunde wie die berühmte „Stöffelmaus“, das „Kohlenschwein“ oder Nashornteile ergeben ein lebendiges Bild. Zudem hatte die Region mineralische Lagerstätten wie die Siegerländer Spateisensteine, die abgebaut wurden. Von der A3 aus gut sichtbar ist noch der Förderturm der Grube Georg bei Willroth.
Bei der Betrachtung der Klimadaten spricht Roth mit Blick auf das ständig zitierte Marschlied vom kalten Wind von „meteorologischem Rufmord“, da der Westerwald im Vergleich zu anderen mittelrheinischen Gebirgen gut abschneidet. Auch bioklimatisch wird der größte Teil als reizmild bis schonend gesehen, nur die höchsten Teile gelten als reizstark, die Tallandschaften von Rhein und Lahn als teils belastend. Der Klimawandel hat auch den Westerwald erfasst, man rechnet mit einer Erhöhung der durchschnittlichen Jahresmitteltemperaturen von 1,5 bis 5,0 Grad bis Ende des Jahrhunderts. Flora und Vegetation haben in den letzten zehn Jahren dramatische Veränderungen erfahren, intensive Land- und Forstwirtschaft ließen viele Pflanzen und nachfolgend auch Tiere verschwinden. Buchenwald stellt die wichtigste Waldgesellschaft dar.
Sämtliche Gewässer streben dem Rhein zu, die Wied ist mit 102 Kilometern vom Quellgebiet auf der Westerwälder Seenplatte bis zur Mündung in Neuwied der längste Wasserlauf. Die von Menschen angelegten Fischteiche der Westerwälder Seenplatte bieten feuchteliebenden Pflanzen- und Tiergesellschaften Lebensraum. Insbesondere eine reichhaltige Vogelwelt ist zu sehen. Floristische Besonderheiten wie das Alpen-Hexenkraut, der Französische Streifenfarn, der Lungenenzian oder das atlantische Torfmoos erfreuen Botaniker.
Der Westerwald zeichnet sich durch eine kulturhistorisch bedingte Vielfalt der Grünlandgesellschaften aus, die in Eifel und Hunsrück nicht erreicht wird. „Die Arnika besitzt an der Fuchskaute ihre größten Vorkommen im gesamten Rheinischen Schiefergebirge.“ Besonderheiten wie das Katzenpfötchen oder die Sparrige Binse sind allerdings als Folge der Forstwirtschaft verschwunden. Wärmeliebende, submediterrane Pflanzen findet man insbesondere im Mittelrheintal, Lahntal und den Seitentälern: zum Beispiel Elsbeere, Franzosenahorn, Bocks-Riemenzunge und Helmknabenkraut.
Die Westerwälder Wirbeltierfauna ist durch die vorhandene Pflanzenwelt infolge der Böden und des Klimas bestimmt. In den artenreichen Mischwäldern leben Fledermausarten, Wildkatze, Baummarder und Siebenschläfer. Die wärmebegünstigten Flusstäler, Tongruben und Steinbrüchen bieten Zaun-, Mauereidechse und Schlingnatter Lebensraum. Für den Westerwald sind mindestens 455 Wirbeltierarten belegt, davon sind 70 Prozent Vögel. Mehrere Wölfe, ein einzelner Biber sowie eine Hufeisennase konnten nach etlichen Jahrzehnten Abwesenheit wieder entdeckt werden. Der Westerwald wurde 2018 zum ersten Wolfspräventionsgebiet für Rheinland-Pfalz ausgewiesen.
Naturkundliche Forschungen wurden durch die Landeshochschule der Grafschaft Nassau-Dillenburg, die „Hohe Schule zu Herborn“ (1584-1817) begünstigt. Roth portraitiert Otto Brunfels, Johann Jakob Dillenius, Johann Daniel Leers, Catharina Helena Doerrien, Johann Philipp Sandberger, Maximilian Prinz zu Wied und andere verdienstvolle Forscher. Der Autor betont die Wichtigkeit der naturkundlichen Vereinigungen für die Erforschung des Westerwaldes. Die Region war wiederholt Namensgeber für Gesteine und Versteinerungen wie die „Ems-Schichten“.
Ein naturkundliches Literaturverzeichnis, ein Register und eine Vorstellung des Naturhistorischen Vereins der Rheinlande und Westfalens (NHV) schließen das Werk ab.
Das 187-seitige, facettenreiche Buch enthält 130 Abbildungen und neun Tabellen und gehört zwingend in die Hand jedes Natur- und Westerwald-Freundes. Erschienen ist es aktuell bei Schweizerbart, ISBN 978-3-510-65528-1. (htv)
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