Buchtipp: „Klappe zu - Balg tot“ von Regina Schleheck
Von Helmi Tischler-Venter
Ein Adventskalender der schaurig-schönen Art: 24 Kurzgeschichten vom Bösen im Menschen, das unerwartet auftaucht oder immer latent vorhanden war. „Im Fernsehen hab ich mir eine Sendung angeguckt. Da waren Bilder von solchen Würmern, die im Fruchtwasser schwammen. Hätten auch eingelegte Krabben sein können, sie zuckten halt nur manchmal.“
Dierdorf/Karlsruhe. Der Kindsvater will das ungeborene „Balg“ nicht haben. Der Begriff setzt sich in Marias Kopf fest und gebiert Reaktionen, die keiner wollte. Balg: Ein Wort wie eine Kanonenkugel.
Ganz anders „Martins Lingam“, Sinnbild erotischer Beziehung, er darf samt Blumengirlande im Kulturbeutel mit auf Reisen gehen. „Mein Frank“ zeigt das unbedingte Vertrauen einer Mutter in ihren Sohn, allen Beschwerlichkeiten und Anschuldigungen zum Trotz: „Dass die Polizei dann mein Frank geholt hat, das war ja ne ausgemachte Schweinerei. Von wegen Erpressung, Nötigung, Zuhälterei, gefälschte Papiere! Der kann doch gar nich lesen und schreiben!“
Eine Frau, die in der Abwärtsspirale ihres Berufslebens hin und her schlittert, wird durch die Arbeit in der Endkontrolle von Schokoladen-Weihnachtsmännern zur lustvollen Schokoladenmann-Fetischistin.
„Ich war eine schwere Geburt. Das erste Kind, das meine Mutter und mein Vater zustande gebracht hatten.“…. „Als mich die Hebamme barg und hochhielt, war das erste, das meine Mutter ausrief: „Himmel, ist der hässlich!“ Trotz „Glückshaube“ blieben Hässlichkeit und Unglück dem Kind treu - bis zur Tombola der Schützenbrüder.
Schwarze Brüder oder „Gottes schwarze Schafe“ treiben ihr lustvolles Unwesen in Gotteshäusern, während ein Penner eine Brieftasche mit allen Ausweisen findet und der Eigentümerin zurückgibt. Eine Schwägerin arbeitet beharrlich daran, den Platz der Mutter ihrer Nichte einzunehmen, nach dem Motto „Weggegangen - Platz vergangen“. Eine Witwe träumt davon, beim Aufwachen Sonne auf der Hoteltapete zu sehen. „Knirschen“ ist ein Geräusch, das traumatisiert oder erlöst, je nach Situation. Überlebenstechnik kann man von einem Kater lernen und Moral braucht hinten und vorne Luft. Erkenntnisse, die beim Lesen die Luft rauben.
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Alle Geschichten erzählen von Beziehungen zwischen Menschen, die sich lange kennen und von Menschen, die sich gerade erst begegnet sind. Auf dem Motorrad, in der Havanna-Bar oder im Taxi. Die Beziehungen nehmen unerwartete Wendungen, die manchmal anrührend, oftmals bösartig oder makaber und manchmal sogar tödlich sind. Die Protagonisten sind blasse Durchschnittsmenschen oder extrem wie Wilma: „Wilma hat schon einen ganz schönen Knall. Man kann ihr ja einiges nachsagen, nur nicht, dass sie wüsste, wie man sich benimmt.“
„Ich kann ja auch gehen“ oder „Du kannst ja auch gehen“, sind oft geäußerte aber selten in die Tat umgesetzte Floskeln. Normalerweise. Und mit „Schweinigeleien“ kann Telefonsex gemeint sein: „Jeden Abend punkt zehn Uhr vibriert mein Handy. Das ist der Erich mit seinen Schweinigeleien. Seine Frau ist um diese Zeit gerade mit dem Goldenen Blatt ins Bett gegangen und Erich sitzt dann alleine vor dem Fernseher und kriegt das ärme Dier, wie wir hier im Rheinland sagen.“ Der Schluss ist unvorhersehbar.
Der Leser muss auf Einiges gefasst sein, Regina Schlehecks humorig-perfide Fantasie ist nicht als Einschlaflektüre geeignet. Die Kurzgeschichten setzen das Kopfkino in Schwung an tristen Winterabenden, wenn man mit einem leckeren Getränk und dem Taschenbuch gemütlich und erwartungsvoll vor dem Kaminofen sitzt.
Erschienen ist der schwarze Kurzgeschichten-Band im Kleinen Buchverlag, ISBN 978-3-7650-9110-0; auch als E-Book, ISBN 978-3-7650-2131-2. (htv)
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