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Nachricht vom 03.08.2021    

Rettungskräfte: Erste Hilfe für die Seele

Einsatz im Ahrtal: Notfallseelsorge Rhein-Lahn/Westerwald und Psychologen bieten professionelle Nachsorge-Gespräche

Symbolfoto (Quelle: Evangelische Öffentlichkeitsarbeit Rhein-Lahn)

Region. Die Rettungskräfte von Technischem Hilfswerk, Feuerwehr oder dem Deutschen Roten Kreuz im Ahrtal sind Bildern und Erlebnissen ausgesetzt, die die Seele stark belasten. Zurückkehrende Helfer werden deshalb auch von der Notfallseelsorge Rhein-Lahn/Westerwald betreut. Zusammen mit Psychotherapeuten der Fachklinik in Katzenelnbogen hat sie jetzt konkret für Kräfte des Kreisfeuerwehrverbades Rhein-Lahn, die aus dem Krisengebiet kommen, die Nachsorge gestartet.

Pfarrerin Ulrike Braun-Steinebach, Leiterin der Notfallseelsorge Rhein-Lahn/Westerwald, kennt die psychologische Belastung von Rettungskräften seit mehr als 20 Jahren, ob sie schwer verletzte oder sterbende Menschen aus einem Autowrack frei schneiden müssen oder Personen in einem brennenden Haus ums Leben kommen und nur noch als Leichen geborgen werden. Und trotzdem tut auch sie sich schwer, in Worte zu fassen, was sie aus dem Krisengebiet von dort arbeitenden an surreal wirkenden Vorfällen berichtet bekommt. Da ist etwa ein junges Mädchen, das mit ansehen muss, wie ihre ältere Schwester in den Fluten ertrinkt. „Aber ich habe ja noch die Puppe, also ist alles gut“, habe ihr ein Kollege der Notfallseelsorge der rheinischen Landeskirche von dem Geschehnis berichtet. Aber natürlich sei überhaupt nichts gut. „Nur irgendwann macht die Psyche dicht, um das Erlebte ertragen zu können“, so Braun-Steinebach. Auch die Seele von Rettungskräften, die mit solchen Situationen konfrontiert werden, seien derzeit überfordert.
 
„Damit das irgendwie verarbeitet werden kann, ist reden wichtig“, so die erfahrene Seelsorgerin, für die aber auch die Schilderungen von der Flut-Katastrophe eine neue Herausforderung darstellen. Und dafür sei eben das Reden mit professionellen Kräften, wie denen der Fachklinik in Katzenelnbogen, notwendig. „Im Gegensatz zu Familienangehörigen oder guten Freunden kann der psychologische Experte einordnen, was hinter dem Reden steckt“, so Braun-Steinebach. Die teilweise grausamen Bilder aus dem Krisengebiet, aber auch die Angst ums eigene Überleben oder um das Schicksal von Kameraden, seien für die Psyche und den Körper stark belastend. Nicht schlafen zu können, sei da völlig normal, aber nach der Heimkehr eine enorme Belastung für den Alltag und das Familienleben. „Irgendwann ist die Psyche auch wieder stark genug, das Erlebte zu verarbeiten“, so Braun-Steinebach. Aber dafür brauche es des professionellen Beistands und der ersten Hilfe für die Seele. Aus gutem Grund gehöre die Notfallseelsorge zur Rettungskette hinzu.
 
„Jeder geht anders mit belastenden Ereignissen um, ohne dass das gleich zu einer Traumatisierung führen muss“, weiß Magdalena Rodowsky, Leiterin der psychiatrischen Tagesklinik in der Fachklinik in Katzenelnbogen. Deshalb sei das Gespräch über den Einsatz nach der Rückkehr aus dem Krisengebiet so wichtig. Denn dabei müsse niemand seine Seele von innen nach außen kehren, sondern es werde unter anderem darüber informiert, welche Symptome auftreten können. Durchschlafstörungen, eine höhere Schreckhaftigkeit, Grübeln und innere Nervosität nennt die Psychotherapeutin Beispiele, auch Magen-Darm-Beschwerden könnten auftreten. „Bis zu einem gewissen Grad ist das vollkommen normal“, so Rodowsky. Schwierig werde es, wenn sich das über Wochen hinzieht; auch Familienangehörige bekämen häufig den gereizten Zustand zu spüren. „Entscheidend für uns ist es, die inneren Ressourcen, die Resilienz zu stärken und zu erklären, was man selbst dazu tun kann.“ Ein solcher Einsatz sei mit den üblichen Hilfeleistungen bei Bränden oder Verkehrsunfällen nicht zu vergleichen, für den die Kräfte ausgebildet worden seien. Die Flutkatastrophe sei eine Ausnahmesituation, zu deren Unberechenbarkeit nicht zuletzt die eigene Gefährdung hinzukomme.



Seelsorge ist dauerhaft ansprechbar
Zur psychologischen Betreuung und Nachsorge von Rettungskräften ist die Notfallseelsorge (NFS) Rhein-Lahn/Westerwald im Einsatz. Während im direkten Krisengebiet vor Ort die Notfallseelsorge der Evangelischen Kirche im Rheinland und des Bistums Trier die Menschen begleitet, erwarten die Seelsorger und Seelsorgerinnen in Westerwald und Taunus vor allem die zurückkehrenden Einsatzkräfte. „Ich gehe davon aus, dass uns diese Katastrophe noch viele Monate, manche noch Jahre beschäftigen wird“, sagt die Leiterin der NFS Ulrike Braun-Steinebach. „Viele Kräfte können solch einen Einsatz wuppen, aber was diese Bilder, denen sie ausgesetzt sind, im Innern auslösen, kommt erst mit der Zeit zum Vorschein.“



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