WW-Kurier
Ihre Internetzeitung für den Westerwaldkreis
Nachricht vom 03.12.2020
Wirtschaft
Die Welt nach der Impfstoffveröffentlichung
Wie es weitergeht und warum keine Blitzlösungen zu erwarten sind. Zum ersten Mal, seit die Pandemie Anfang des Jahres über die Welt kam, gibt es nicht nur einen Hoffnungsschimmer, sondern ein realistisch absehbares Enddatum. Zwei Impfstoffe zeigen aktuell sehr vielversprechende Resultate – nach einer der kürzesten und intensivsten Entwicklungsphasen in der Geschichte der Pharmazeutik. Angela Merkel verbreitete dementsprechend unlängst sogar große Hoffnung mit ihrer Aussage, dass vielleicht schon im Dezember oder Januar die EU-Zulassung erfolgen könnte.
Fast ist es geschafft. Doch bis die Welt durchgeimpft ist, werden noch Monate und Jahre der Einschränkungen verbleiben. (stock.adobe.com © <a href=https://stock.adobe.com/de/images/pandemic-concept-close-up-of-scientist-injecitng-vaccine-into-the-earth/322722600?prev_url=detail target=_blank>rangizz</a>)Doch was passiert dann? Bedeutet es, dass die Welt binnen weniger Tage oder Wochen zum Normalzustand der Prä-Corona-Ära zurückkehren wird? Leider nein. Denn die Impfstoffveröffentlichung ist erst der Anfang eines mehrmonatigen, in manchen Bereichen sogar mehrjährigen Weges zurück in die Normalität.

Zunächst muss produziert werden
Alles, was Biontec/Pizer und Moderna derzeit produziert haben, sind Test-Impfstoffe. Vergleichsweise eringe Mengen, die nur für die Forschung und Erprobung an einigen zehntausend Probanden genügen. Die dafür genutzten Herstellungsmethoden sind Laborverfahren; sozusagen eine Manufakturfertigung.

Damit jedoch am Ende eine Herdenimmunität entstehen kann, müssen in jedem Land rund 2/3 der Bevölkerung geimpft werden. Das wären bei aktuell 7,6 Milliarden Erdbewohnern rund 5 Milliarden Personen. Allerdings weist kein Impfstoff eine hundertprozentige Immunisierungsrate auf. Daher werden schätzungsweise zehn Milliarden Dosen benötigt – die je nachdem, wie lange die Immunität anhält, durch weitere Serien verstärkt werden müssen. Im Klartext: Das ist das größte Impfprogramm der Menschheitsgeschichte und zudem eines, das in einem für diesen Maßstab aberwitzig kurzen Zeitraum durchgeführt werden muss.
Zwar wird derzeit hinter den Kulissen schon vorbereitet:

• Industrielle Produktionskapazitäten,
• die notwendige Logistik zur Verteilung,
• das zum Impfen nötige Personal,
damit keine Zeit vergeudet wird. Von der offiziellen Zulassung bis zur Durchimpfung breiter Bevölkerungsschichten ist es jedoch noch ein weiter Weg.

Alte, Kranke und Schlüsselpersonal zuerst
Allein um diese zehn Milliarden Impfdosen zu produzieren – selbst im Höchsttempo, unter Ausnutzung aller Ressourcen – wird mindestens das ganze Jahr 2021 vergehen; wahrscheinlicher ist jedoch, dass es noch länger dauern wird. Sofern es zu keinen Komplikationen kommt; etwa einer Mutation des Virus oder Engpässe bei den Rohstoffen.
Für viele Menschen wird sich deshalb für sehr lange Zeit gar nichts ändern. Denn in Deutschland gibt es ebenso entsprechende Empfehlungen über die Priorisierung der Impfungen wie in anderen Ländern. Ihr Tenor:

• Alte Menschen,
• gesundheitlich Vorbelastete,
• in medizinisch-pflegerischen Bereichen Tätige und
• Schlüsselpersonen für öffentliche Funktionalität und Ordnung
werden überall die ersten sein, die eine Impfdosis erhalten. Erst wenn diese Menschen, etwa Polizisten, Krankenhauspersonal oder an der Impfstoffverteilung Beteiligte, geschützt sind, kann der Kreis erweitert werden.

Bis dahin werden die jetzigen Maßnahmen bestehen bleiben müssen. Wir werden also noch für gut und gerne ein Jahr Hände waschen, Abstand halten, Masken tragen – und uns in Sachen Menschengruppen einschränken müssen.

Die Wirtschaft wird noch länger darben
An dem Tag, an dem ein Impfstoff zugelassen wird, werden mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit die Börsen einen auf den Handelskurven sichtbaren Sprung machen. Allerdings wird eine tatsächliche Heilung der Wirtschaft ebenfalls noch viel länger dauern.

Die Corona-Krise hat viele Branchen ausnehmend hart getroffen. Primär zwar diejenigen, die wegen Kontakteinschränkungen und Unterbringungsverboten ihrer Geschäftsgrundlage beraubt wurden; aber auch viele andere Branchen, bei denen die Zahlen spürbar einbrachen.
Der Grund dafür ist, dass die Wirtschaft so miteinander verknüpft ist und dass viele Sparten nicht für Endverbraucher, sondern hauptsächlich andere Geschäftszweige produzieren. Nehmen wir die Druckbranche als gutes Beispiel dafür. Sie war vor der Pandemie gesund, hatte die Folgen der Weltwirtschaftskrise überwunden. Dann jedoch kam das Virus. Die Folgen und Lösungswege sind deshalb kompliziert. Beispielsweise brach die Auftragslage ein,

• weil Firmen aus der Veranstaltungs- sowie Werbe- und Marketingbranche keine Aufträge hatten, für die Plakate, Flyer usw. nötig waren;

• da unzählige Unternehmen auf Home-Office-Betrieb umschalteten, dadurch digitaler wurden und deshalb viel weniger analoge Druckmedien benötigten;

• weil die gesamte Reisebranche auf die Knie ging und keine Kataloge und dergleichen mehr benötigte.

Wie der Druckindustrie ging es zahllosen anderen Branchen: Sie wurden nicht selbst vom Virus getroffen, sondern deshalb, weil ihre wichtigsten Kunden, eben andere Geschäftsbranchen, es wurden.

Wirtschaftsexperten rechnen deshalb mit einer über die kommenden Jahre anhaltenden Rezession. Das Virus hat Firmen in den Bankrott getrieben, andere mussten „nur“ erhebliche Einbußen erleben. Bis die Wirtschaft wieder so gesund wie Anfang 2020 ist, werden wahrscheinlich noch Jahre vergehen. Auch die über das ganze Jahr angestiegene Arbeitslosenquote wird auch 2021 wohl noch weiterklettern – nicht zuletzt, weil irgendwann die staatlichen Unterstützungsprogramme auslaufen werden. Dann werden noch viele Unternehmen fallen, die sich bisher noch irgendwie halten konnten.

Urlaub wird kompliziert bleiben
Mit den guten Meldungen zu den Impfstoffen der vergangenen Wochen keimte natürlich bei vielen Menschen auch eine weitere Hoffnung auf: zumindest 2021 wieder wie gehabt in den Sommerurlaub fliegen zu können.

Schon die genannten Schwierigkeiten bei der Durchimpfung werden diesen Hoffnungen leider einen Dämpfer versetzt haben. Es kommt jedoch noch schwerer – aus mehreren Gründen:

• Grundsätzlich wird das Impfen nicht auf der gesamten Welt gleichermaßen schnell ablaufen. Denn es hängt maßgeblich davon ab, wie gut dort die medizinische Infrastruktur ist. Das heißt, manche beliebten Reiseländer mit einer jenseits der Tourismuszentren wenig ausgeprägten Infrastruktur könnten noch lange Jahre schwierig sein, zumindest für Ungeimpfte.

• Viele Reiseveranstalter, Airlines, Hotels usw. wurden in tiefe wirtschaftliche Schwierigkeiten oder sogar ganz vom Markt gedrückt und viele werden noch folgen. Die Auswahl wird dementsprechend noch einige Jahre kleiner sein, als gewohnt.

• Viele Länder, dazu auch Airlines, Reiseveranstalter, Hoteliers und dergleichen werden wohl nur geimpften Personen zugänglich sein. Finnland forderte ein solches Vorgehen bereits, auch die Lufthansa brachte ähnliche Gedanken ins Spiel. Wer nicht zu den Personenkreisen gehört, die frühzeitig geimpft werden, wird deshalb 2021 seine Urlaube mutmaßlich auf Balkonien verbringen.

Zwar sind sich viele Staaten, darunter auch Deutschland, darüber einig, dass es keine allgemeine Impfpflicht geben wird. Aber ohne einen solchen Nachweis könnte zumindest die Reisefreiheit noch mehrere Jahre gehemmt bleiben – so lange, bis die ganze Welt eine Herdenimmunität entwickelt hat.

Fazit
Auch wenn die Ankündigung der bevorstehenden Impfstoffzulassungen zurecht Hoffnung aufkeimen lassen, werden sie keine unmittelbaren positiven Folgen haben. Wegen der globalen Natur des Coronavirus wird nicht nur das Jahr 2021 noch sehr viele Einschränkungen beibehalten, sondern mit höchster Wahrscheinlichkeit auch 2022 und die Folgejahre.

Sofern es keine Probleme gibt, das Virus nicht so mutiert, dass die bisherigen Vakzine wirkungslos werden, müssen wir realistisch damit rechnen, dass die Welt erst Mitte des Jahrzehnts wieder weitgehend derjenigen vom Jahreswechsel 2019/2020 entspricht. (prm)
Nachricht vom 03.12.2020 www.ww-kurier.de