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Nachricht vom 29.11.2020
Wirtschaft
Zurück im Job: "Die Krankheit soll mein Leben nicht diktieren"
Katrin H. fährt mit dem Auto zur Arbeit, wie die meisten ihrer Arbeitskollegen. Um zu ihrem Schreibtisch im Statistischen Landesamt Bad Ems zu kommen, muss sie jedoch umsteigen. Die 34-Jährige leidet unter Multipler Sklerose und ist inzwischen auf einen Rollstuhl angewiesen. Dass sie trotz massiver Handicaps berufstätig sein kann, wurde nicht zuletzt durch Beratung, Vermittlung und finanzielle Förderung der Agentur für Arbeit Montabaur ermöglicht. Vor allem aber ist es der Energie und dem Optimismus der jungen Frau selbst zu verdanken: Sie will teilhaben am Leben - mit allem, was dazu gehört.
Katrin H. in ihrem Auto, das ihr ein großes Stück Unabhängigkeit verleiht. Foto: privatBad Ems/Montabaur. Die Diagnose MS bekam die gelernte Bauzeichnerin nach monatelanger medizinischer Spurensuche mit 21 Jahren, gerade als sie eine neue Stelle in einem Küchenstudio antrat. Nach dem ersten Schock setzte sie sich das Ziel, das sie bis heute eisern verfolgt: „Aufgeben ist keine Option. Die Krankheit soll mein Leben nicht diktieren.“

Tatsächlich hat Katrin H. in jüngerer Zeit mit einer deutlichen Verschlimmerung zu kämpfen. Aktuell hat sie einen Grad der Beeinträchtigung von 50, aber der Antrag auf Neubewertung ist bereits gestellt: „Ich komme emotional und körperlich sehr schnell an meine Grenzen. Aber es gibt zwei sehr gute Gründe, damit klarzukommen und den Alltag zu stemmen.“ Diese Gründe sind ihr Sohn (5) und ihre Tochter (3).

Zurück aus der zweiten Elternzeit, bekam die junge Mutter im November vergangenen Jahres von ihrem Arbeitgeber die betriebsbedingte Kündigung. Das Küchenstudio war in den Händen neuer Eigner und ihr Job als Disponentin weggefallen.

Die 34-Jährige meldete sich arbeitslos in der Lahnsteiner Geschäftsstelle der Arbeitsagentur Montabaur. „Ich wusste, dass mir eine spezielle Reha-Betreuung zustand, hatte aber keine allzu großen Erwartungen. Und dann war ich überrascht von der Herzlichkeit und Kompetenz, die mir entgegenschlugen. Alle, mit denen ich zu tun hatte, waren verständnisvoll und fürsorglich. Sie haben mir immer wieder Mut gemacht. Hinzu kommt die enorme finanzielle Hilfe, die reibungslos bewilligt und ausgezahlt wurde.“

Im Reha-Team machten sich Alexandra Roos, Martina Schmidt-Gail und Achim Geisel stark für ihre Kundin, als technische Beraterin Ivonne Görgens. Sie wiederum sind beeindruckt vom Engagement der jungen Frau, sämtliche Hürden zu überwinden, um einen Arbeitsplatz in Teilzeit zu finden. Sie schrieb etwa 20 Bewerbungen, bekam immer wieder Absagen und ist sich sicher, dass der Grund dafür auch ihre Krankheit war, selbst wenn wenn das nicht offen formuliert werden darf.

Dann machte Alexandra Roos ihre Kundin auf ein Stellenangebot des Statistischen Landesamts aufmerksam und ermunterte sie, sich zu bewerben und deutlich auf ihre Behinderung hinzuweisen. Gesucht wurde eine Sachbearbeiterin im Zensus. Im Bewerberportal fand sie ein weiteres attraktives Angebot, für das sie sich gleich mitbewarb: eine Teamassistenz im Personalbereich. Eingeladen zu Test und Vorstellungsgespräch wurde sie für beide Jobs. Die Zusage für ihren „Favoriten“ kam binnen weniger Tage und sie konnte sofort anfangen – am 23. März.

Damit waren aber längst nicht alle Probleme gelöst. Die junge Frau ist mittlerweile nicht mehr in der Lage, ein Standardauto zu steuern. Deshalb wurde der Umbau eines Fahrzeugs beantragt. Zunächst fuhr Katrin H. auf Kosten der Agentur mit dem Taxi zur Arbeit und wieder zurück, was ihr selbst am allerwenigsten gefiel. Letztlich dauerte es ab Antragstellung viele Monate, bis sie ihr „maßgeschneidertes“ Auto mit Handgas-Hebel und Rollstuhl-Verladesystem in Besitz nehmen konnte. Dazwischen lag ein Marathon mit fahrmedizinischer Untersuchung, Attest-Übermittlung an den TÜV, Fahrschule mit einem entsprechenden Auto und einer Fahrprobe. Erst dann gab es grünes Licht für einen eigenen PKW, und für die Umrüstung ging natürlich wieder Zeit ins Land.

Das alles geschah im Corona-Jahr. Weil die Kita schließen musste, betreute das Ehepaar H. seine Kinder 13 Wochen lang zu Hause, darunter viele Tage in Wechselschichten – er morgens, sie nachmittags bis zum Abend. Das ist schon für gesunde Menschen Kräfte zehrend. Eine MS-Patientin, die gerade wieder Fuß fasst im Berufsleben, kommt ans absolute Limit.

Inzwischen hat sich manches eingependelt, obwohl wegen der Pandemie von Normalität keine Rede sein kann und Katrin H. weiß, dass ihre gesundheitliche Entwicklung unvorhersehbar ist. Sie kämpft weiter, behält ihre Disziplin und bewahrt ihre Zuversicht: „Ich bin mobil, habe einen Job und kann wieder teilnehmen am Leben. Die Welt steht mir offen! Das ist nach dem Verlust der Selbstständigkeit wie ein Sechser im Lotto.“ (PM)
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