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Nachricht vom 27.03.2020
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Enkeldienst: Wenn der Grandpa den Babysitter gibt
Grandpa bezeichnet ja nicht nur einen männlichen Homo sapiens mit einem weiteren Kind aus folgender Generation, sondern auch einen überaus erfahrenen, weisen Vater, sonst wäre der Grandpa ja auch gar nicht möglich. Wenn dann die Tochter ruft, steht man natürlich sofort mit seiner ganzen Erfahrung und der Gelassenheit, die sich halt erst im Alter einstellt, zur Verfügung.
Der Grandpa meistert jede Situation mit Ruhe und Gelassenheit.(Foto: privat)Erster Kontakt!
Ich sehen meinen Kleinen, nennen wir ihn mal Nieto, nicht so oft. Es liegen einige Kilometer zwischen unseren Wohnsitzen und die Reise ist nicht immer ganz leicht. Beim letzten Besuch habe ich nach einigen Umplanungen den Flieger gewählt. Als ich dann spät abends die Wohnung, in der Nieto mit seinen Eltern wohnt, erreichte, war der Kleine schon im Bett und ich froh. Natürlich nur, weil ich aus alter Erfahrung weiß, dass so eine Aufregung die Nacht zum Tag machen kann. Was ich dabei nicht bedacht hatte: Schläft Zwergnase früh ein, so ist ein recht frühes Erwachen eventuell die Folge. Da ich weiß: „Der frühe Vogel fängt den Wurm“, aber eben doch nur den frühen Wurm, halte ich mich in der Regel an das andere Sprichwort: „Die zweite Maus kriegt den Käs.“ Will heißen: Ich bin morgens eher weit nach 6 Uhr auf und brauche auch noch keine Beschallung. Nieto sah das anders. Gegen halb sieben flog die Tür meines Refugiums gegen die Wand und der kleine süße Fratz rannte mit „Opa, Opa“ ins Zimmer. Da wir uns bisher erst 4 Mal außerhalb des Smartphones begegnet waren, war ich ob der Nähe schon erstaunt. Ich hatte befürchtet, Nieto sei erschrocken, dass ich größer als 10 cm bin, denn größer konnte er mich aus Mamas Handy ja nicht kennen. Wenigstens konnte er schon sprechen, mit noch nicht mal zwei Jahren. Klasse! Das haben die Erzeuger ja prima hinbekommen.

Wortschatz begrenzt und mehrsprachiges Gemenge
Die Freude wich dann schnell einer größeren Ernüchterung. Der verständliche Wortschatz für meine Ohren war mit „Opa Opa“ bereits aufgebraucht. Da Mama mit Nieto deutsch, Papa spanisch spricht und die Kommunikation der Eltern untereinander oft in englischer Sprache stattfindet, ist das Ganze auch nicht sooo einfach für den kleinen Herrn. Schnell war festzustellen, dass er sich oft einfach die für ihn leichtere Sprache aus der landesüblichen Ausdrucksweise sucht. Er fordert also kein Wasser, sonder aqua. Mein sprachlicher Vorteil im Deutschen wurde schnell von der mangelnden Kenntnis im Spanischen - Hola, Adios und zählen bis drei - aufgezehrt. Oft ging Nietos hilfesuchender Blick zur Mutter oder zum Vater, weil Opa ja wirklich gar nichts kapierte. Das Ganze besserte sich zwar im Laufe des Tages. Wer allerdings glaubt, mit einem kleinen Kind könne auch der eigene Sprachschatz verbessert werden, bemerkt schnell: Die vom Kind geäußerten Ausdrücke in der Öffentlichkeit benutzt führen dazu, dass mich der gemeine Spanier nun für völlig geistig minderbemittelt hält. Hier ist also Vorsicht geboten. Im Sandkasten mit anderen Kindern oder am Strand stellte ich schnell fest, dass die Nietos Kommunikationsform weitaus zielführender war als meine. Ich war eher ein – Außerirdischer.

Aber wir kamen uns immer näher!
In der Wohnung spielten wir dann doch recht viel miteinander, wobei das Hocken, Knien, Sitzen auf der Erde schnell zu ernsthaften Verspannungen führte, so dass Grandpa doch das ein oder andere Mal ein unglaublich wichtiges Telefonat an der frische Luft führen musste – allein, weil wichtig. Zudem zeigte sich meine Fitness, auf die ich eigentlich gut achte, wie ich dachte, in einem eher mäßigem Zustand. Mein Schlaf- und Erholungsdürfnis war erheblich gestiegen. Das lag sicher an der Klimaveränderung, am Jetlag (tritt bei mir schon nach zwei Stunden Flug in der gleichen Zeitzone auf). Aber wir bastelten, wir tobten und lachten viel zusammen. Inzwischen kamen wir schon wunderbar miteinander aus, so dass Nietos Mutter kurz mit den Hunden raus wollte und mir mitteilte: „Bleib du mal mit Nieto hier, dann muss ich ihn nicht anziehen.“ Klar kein Problem, wir waren uns schon sehr nahe.

Also verschwand das erwachsene Kind und ließ mich mit dem Sprössling zurück. Wir tobten, spielten und hatten viel Spaß, bis plötzlich unangenehme Gerüche mich veranlassten den Kleinen nicht mehr auf die Schulter zu nehmen und ganz neu zu überlegen. Was war zu tun? Was soll´s, solange war das ja noch nicht her. Gut 30 Jahre, aber Radfahren verlernt man(n) ja auch nicht. Da ich wusste, wo alles Notwendige gelagert war, der Kleine übrigens auch, gingen wir frisch auf ans Werk. In Vergessenheit geraten war bei mir allerdings, wozu ein Kleinkind mit seinen zappeligen Beinen und Armen alles in der Lage war und bei den notwendigen Utensilien war von Gürtel, Seilen oder Kabelbindern nichts zu sehen. Lange Rede, kurzer Sinn, als ich alles fertig hatte, das Kind und die Wohnung wieder gereinigt waren, tauchte auch bereits die Mutter wieder auf. Mit den Reinigungsergebnissen war sie zufrieden. Nur eine neue Windel wurde noch angelegt. Soweit zu Erfahrungen. Mein Bemühen hatte allerdings zur Folge, dass mir weitere Aufgaben zugetraut wurden. „Papa?!?!? Ich war mit Carlos“ (wir nennen den Schwiegersohn mal Carlos, denn wie soll ein Spanier ohne Auto schon heißen, hahaha) „ich war mit Carlos schon seit zwei Jahren nicht mehr allein essen. Könntest du an deinem letzten Abend auf Nieto aufpassen?“ Na klar, kein Problem!

Grandpa allein zu Haus!
Die Tage nahmen ihren Lauf und dann kam der letzte Abend. Mutti machte den Kleinen bettfein, Papi brachte ihn ins Bett und las noch eine Geschichte und dann ging es für die beiden in ein schönes Restaurant. Grandpa blieb völlig entspannt mit dem schlafenden Engelchen in den heimischen vier Wänden. Ich konnte in Ruhe etwas fernsehen und im Internet surfen. Als ich in die Küche wollte, um mir etwas zu trinken zu holen, blieb ich an einem Stuhl hängen und das Rumpeln war meines Erachtens in der ganzen Stadt zu hören. Fast panisch blieb ich bewegungslos und stellte auch das Atmen ein. Puh, das war noch einmal gut gegangen. Also wieder an den Laptop und mal sehen, was es alles so gab. Es wurde später, die Eltern konnten in Ruhe essen, Grandpa in Ruhe surfen und Nieto schlief friedlich.

Doch dann kam es, wie es kommen musste. Die Ankündigung war ein leichtes Husten. Ein einfaches Verschlucken war der Anfang vom Ende. Das Engelchen fing an zu weinen und Grandpa eilte zum Bett, um den süßen Kleinen zu beruhigen. Der verlangte nach Mama, allerdings in eine Lautstärke, dass Mutter ihn eigentlich in 10 Kilometer Entfernung hätte hören müssen. Nach meinen Erklärungen, dass Mama nicht da sei, änderte sich die Tonlage und Ausdrucksweise, nicht jedoch die Lautstärke und es wurde Papa verlangt. Ich nahm ihn in aller Ruhe auf, schuckelte ihn ein wenig, wie ich es bei meiner Tochter gesehen hatte und erklärte ihm, dass nur der Grandpa da sei. Natürlich fing ich an leise zu singen. Ein bekanntes Phänomen zeigte sich umgehend. Es war nicht das erste Mal, dass ich erlebte, dass es Geschrei gab, wenn ich singe. Verdammter Ignorant. Außerdem wurde das Schuckeln immer schwieriger. Es kann nicht schwerer sein, einen tobenden Schimpansen festzuhalten als dieses kleine Bündel. Inzwischen befürchtete ich, dass gleich ein Sondereinsatzkommando die Wohnung stürmt, da besorgte Nachbarn eine Misshandlung in unserer Wohnung nicht ausschließen konnten.

Mit Gelassenheit und Erfahrung war längst alles vorbei. Ich musste mir irgendetwas überlegen, da ich sonst in wenigen Minuten völlig durchgeschwitzt gewesen wäre. Also spielen – No und Geschrei – Nieto rannte kreischend durchs Haus und suchte Mama und Papa. Über WhatsApp kam die Nachricht, dass die beiden in ca. 30 Minuten zu Hause wären. „Verdammt, in 30 Minuten! Da ist längst die Tür eingetreten, ein Psychologe beruhigt den kleinen Fratz und ich sitze mit Handschellen in irgendeinem Polizeiwagen und verstehen kann mich auch keiner. Nieto kann auch nichts erklären,“ Solche Gedanken gingen mir durch den Kopf. Dann fiel mein Laptop in mein Blickfeld, auf dem ein YouTube-Video lief. Das konnte die Rettung sein. Nieto stand weiterhin brüllend an der Tür. Pittiplatsch schoss mir durch den Kopf. Warum? Keine Ahnung, auch ich bin oft erschrocken wegen meiner Gedankengänge. Ich machte eine Folge an, die längste hatte 20 Minuten, das könnte reichen. Ich setzte mich vor den Laptop und blickte auf den Bildschirm. Nieto verstummte. Eine gewisse Neugier war auf dem süßen – nein, kleinen, süß war das nicht mehr! – Gesicht abzulesen. Er kam langsam näher. „Opa, kucka!“ Kurze Beckerfaust, gewonnen. Pittiplatsch und Schnatterinchen hatten mir den Ar…. gerettet.

Als die Eltern auftauchten, hatte der Kleine nur einen kurzen Blick für die Beiden. Ich berichtete kurz, dass er aufgewacht war, ich das aber schnell im Griff hatte und wir beide dann in Ruhe Videos angesehen haben. Tochter und Schwiegersohn erzählten von einem wunderbaren Abend und waren mir überaus dankbar. Und ich? Als ich am nächsten Tag im Flieger saß, wusste ich: Ich bin zu alt für diesen Schei…! LG Euer Grandpa

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