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Nachricht vom 08.11.2019
Region
Der Aufstieg und Fall des Westerwälder Synagogenschänders
Wie kann ein Westerwälder Bäcker zum hassenden „Herrgott“ werden? Diese Frage hat Jakob Saß lange beschäftigt. Während seines Studiums beginnt der Berliner Zeithistoriker, sich mit diesem Menschen zu beschäftigen: mit Adolf Haas, einem ganz normalen Mann, der in den 1940er-Jahren zum gefürchteten KZ-Kommandanten wird. Auf Einladung des Kulturkreises Mogendorf spricht Jakob Saß in der Evangelischen Kirche. Also an dem Ort, der früher eine Synagoge war und den Haas vor 81 Jahren verwüstet hat.
Jakob Saß während seines Vortrags in Mogendorf. Fotos: Peter BongardMogendorf. Jakob Saß hat ein Buch über Adolf Haas geschrieben. „Gewalt, Gier und Gnade“ heißt es und zeigt auf dem Titelbild ein grimmiges Gesicht mit Hitler-Bärtchen und Totenkopf-Emblem. So sah Haas aus. Wie ein typischer SS-Mann damals eben aussah, möchte man sagen. Doch sein Weg in die Sturmstaffel und zum Lagerkommandanten verläuft nicht geradeaus. Mit historischen Fotos und akribisch recherchierten Dokumenten zeichnet Jakob Saß in Mogendorf das Leben des Nationalsozialisten nach: Geboren in Siegen wächst Haas in Hachenburg auf. Er ist ein schwacher Schüler, steht besonders mit dem Schreiben auf Kriegsfuß und führt ein ziemlich gewöhnliches Leben. Bis er 1913 der Marine beitritt. Er wird in China stationiert, und dort trifft ihn die volle Wucht des Ersten Weltkriegs. Vor seinen Augen wird sein Freund von einer Granate zerrissen, Haas selbst gerät in japanische Kriegsgefangenschaft.

Diese Jahre haben Adolf Haas verändert. Ob sie ihn zum überzeugten Nazi haben werden lassen, bezweifelt Jakob Saß. Denn obwohl sich Haas schon damals in seinem Tagebuch abfällig und rassistisch über Asiaten äußert, ist er bei seiner Rückkehr nach Deutschland im Jahr 1920 immer noch kein nach Rache dürstender Ideologe. Eher einer, der sich mit einer gewissen Bauernschläue durchs Leben schlägt und auf seine Chance wartet.

Die wittert er Anfang der 1930er Jahre. Als die NSDAP nicht nur im Westerwald Erfolge feiert, tritt ihr der Bäcker 1931 bei. Ein Jahr später ist er bei der SS, wird Partei-Abgeordneter und setzt durch, dass in Hachenburg alle Straßennamen entfernt werden, die auf jüdisches Leben verweisen. Der Bäcker wird immer rücksichtsloser; verfolgt Kommunisten, erpresst jüdische Bürger. Nach der Machtergreifung gibt er seine Bäckerei auf und gibt sich ganz der SS hin. 1936 ist er schließlich Obersturmbannführer. Ein Ideologe ist er nicht, glaubt Jakob Saß. „Er wusste sich immer ins rechte Licht zu rücken und die Schuld im richtigen Moment von sich zu weisen.“ Die Juden allesamt auslöschen wollte er auch nie, meint der Forscher. „Sie waren ihm eher lästig und bereiteten ihm Arbeit“, beschreibt Jakob Saß den Nazi.

Am Morgen des 10. November 1938 bricht Haas mit einigen Kumpanen nach Mogendorf auf. Dort greift er sich eine Axt und beginnt mit seinen Leuten, die Synagoge zu zerstören. „Die Anwohner sahen zu und holten sich aus den Trümmern Bretter für ihren Kaninchenstall“, beschreibt Jakob Saß das, was sich dort vor 81 Jahren abspielt. Irgendwann haben Haas und sein SS-Trupp genug und fahren mit Autos voller gestohlener Sachen weg. Später rückt die SA an und setzt das Gotteshaus in Brand.

Danach geht es für Adolf Haas‘ Karriere weiter aufwärts. Zwar schließt er seine Ausbildung im Konzentrationslager Sachsenhausen mehr schlecht als recht ab. Aber irgendwie gelingt es ihm trotzdem, sich noch einmal ins rechte Licht zu rücken. Der einfach gestrickte Haas wird Leiter des KZ Niederhagen, nennt sich „Herrgott“ und entscheidet dort über Leben und Tod.

Haas‘ persönliche Götterdämmerung beginnt im Kriegswende-Jahr 1943. Er wechselt ins KZ Bergen-Belsen, in das Konzentrationslager, in dem auch Anne Frank stirbt. Unter seiner Leitung ist die sanitäre Situation im Lager katastrophal - obwohl Bergen-Belsen damals nicht als das schlimmste KZ gilt, sagt Jakob Saß: „Es gibt Berichte von Menschen, die sagen, dass sie Haas verschont oder ihnen sogar das Leben gerettet hat.“ Oft aber nicht aus Nächstenliebe, sondern zum eigenen Nutzen. „Der Insasse Leon Schönker hat Ölgemälde für Adolf Haas angefertigt und überlebte das KZ“, berichtet Jakob Saß. Für Haas‘ Karriere bedeuten diese Bilder allerdings das Ende. Er bekommt dafür eine Rüge von der Obrigkeit und muss seinen Posten Ende 1944 räumen. Rund 1800 Menschen kamen bis dahin unter ihm in Bergen-Belsen ums Leben.

In dieser Zeit beginnt sich die Spur von Adolf Haas zu verlieren. Jakob Saß erzählt, dass der ehemalige Lagerkommandant einem Bataillon zugeteilt wird. Ob er je gekämpft hat, ist ungeklärt. Haas verschwindet vom Licht in die Dunkelheit: 1950 wird er für tot erklärt und sein Ableben auf den 31. März 1945 datiert – obwohl er nachweislich zwei Wochen später noch einmal in Hamburg war.

Wie kann ein Bäcker zum Herrgott werden? Und was ist aus ihm geworden? Jakob Saß‘ Vortrag beginnt und endet mit einem großen Fragezeichen. „Niemand weiß, ob Adolf Haas gefallen oder nach Kriegsende untergetaucht ist“, sagt er. Einen wichtigen Hinweis, dass der Westerwälder den Krieg überlebt haben könnte, erhält Jakob Saß kurz nach der Veröffentlichung seines Buchs. Ein ehemaliger „SS-Kamerad“ hat Haas 1953 offenbar in einem Bus nach Hachenburg gesehen. Die beiden Waffenbrüder erkennen sich – und schweigen. „Von der halben Million Täter, die damals an den Kriegsverbrechen beteiligt waren, sind nur etwa ein Prozent verurteilt worden“, sagt Jakob Saß. Adolf Haas gehört nicht zu ihnen.

Bevor sich Jakob Saß von seinen Zuhörerinnen und Zuhörern verabschiedet, gibt er ihnen drei persönliche Dinge mit auf den Weg. Drei Lektionen für die Gegenwart, wie er sie nennt, an deren Ende aber eher ein Gedankenstrich als ein Ausrufezeichen steht: Sprache kann ausgrenzen – lassen wir sie nicht verrohen. Außerdem: Aus welchen Gründen werden Menschen zu Tätern? Und schließlich: Jeder Mensch ist unter bestimmten Umständen bereit, schreckliche Dinge zu tun. Es braucht Bildung, Autonomie und gute Bindungen, damit es nicht soweit kommt. (bon)
       
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