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Nachricht vom 11.02.2019
Region
Experienced Involvement: Wenn Betroffene zu Helfern werden
Menschen, die psychische Erkrankungen durchlebt haben, helfen Menschen, die ähnliche Situationen bewältigen müssen. Das sogenannte Ex-In-Modell ruft Neugier und Skepsis zugleich hervor. Im Rahmen eines Fachtags an der Universität Siegen haben sich rund 140 Teilnehmer mit diesem auch für die Region wichtigen Thema beschäftigt.
Die Protagonisten der Fachtagung „Multiperspektivität in der Psychiatrie“: (hinten, von links) Professor Dr. Johannes Schädler, Dr. Birgit Papke, (vorne, von links) Irmela Boden, Katharina Pelkmann und Margit Haars (Foto: Universität Siegen)Siegen/Region. Selbsthilfegruppen gibt es für zahlreiche Krankheiten und Probleme, Zusammenschlüsse dieser Art kennt jeder – wenn auch nicht unbedingt aus eigener Erfahrung. Etwas anders sieht das mit sogenannten Genesungsbegleitern für psychisch kranke Menschen aus. Die Genesungsbegleiter haben selbst unter einer psychischen Erkrankung gelitten. Mit ihren Erfahrungen wollen die einstigen Patientinnen und Patienten Menschen helfen, die mit ähnlichen Problemen zu kämpfen haben. Welche Möglichkeiten das eröffnet, welche Schwierigkeiten das aber auch mit sich bringen kann, darüber haben rund 140 Teilnehmende bei der Fachtagung „Multiperspektivität in der Psychiatrie“ an der Universität Siegen gesprochen – von Studierenden über einen Chefarzt bis zu Genesungsbegleitern.

Neugier und Skepsis
„Menschen, die von einer psychischen Erkrankung betroffen sind, verfügen über ein Wissen, das über das der Experten hinausgeht“, sagte Dr. Birgit Papke zu Beginn der Veranstaltung im Artur-Woll-Haus. Ein Seminar der Wissenschaftlerin diente als Grundlage für die Fachtagung. Es sei ein Thema, das „mit Neugier und Skepsis“ verfolgt werde, erklärte Professor Johannes Schädler. Der Erziehungswissenschaftler ist Geschäftsführer des Zentrums für Planung und Evaluation Sozialer Dienste (ZPE) an der Uni, das die Veranstaltung gemeinsam mit dem Verein „Ex-In“ ausgerichtet hat. Skepsis vor allem deshalb, weil sich Fragen auftun. Sind sogenannte Psychiatrie-Erfahrene in der Lage, anderen psychisch Erkrankten zu helfen? Wie professionell ist diese Hilfe? Wie sehen Einsatzmöglichkeiten und Stellenbeschreibungen aus? Auf all diese Fragen gab es in Vorträgen Antworten – oder sie wurden gemeinsam in vertiefenden Workshops gesucht. Das Interesse war groß, die Tagung komplett ausgebucht.

Größerer Beachtung für die Weiterbildung
So berichteten Wolfgang Monheimius, Einrichtungsleiter des Johanneshauses in Bonn, und Sabine Joel von ihren Erfahrungen. Joel ist psychiatrieerfahren und machte 2010 ihre Ex-In-Ausbildung. Ex-In steht für Experienced Involvement, also die Einbeziehung Erfahrener. „Die Arbeit mit Genesungsbegleitern lief so gut, dass wir gesagt haben, wir brauchen in jedem Team einen“, berichtete Monheimius. Inzwischen würden die Ex-Inler in allen Bereichen des Arbeitsalltags eingesetzt – in Zusammenarbeit mit Sozialarbeiternn, Krankenpflegern oder Ergotherapeuten bis hinein in die Führungsebene. „Dadurch sind sehr viele Synergien entstanden“, so Joel. Laut Monheimius hätten alle Fachkräfte von der Arbeit mit den Genesungsbegleitern profitiert, sie seien keine Konkurrenz gewesen, wie manch einer anfangs befürchtet hatte. Er forderte, dass die Weiterbildung größere Beachtung finden müsse.

Jede Perspektive wertschätzen
Dazu beitragen sollte auch die Fachtagung in Siegen. „Wir begleiten das Thema in Forschung und Lehre. Die soziale Psychiatrie ist zum Beispiel wichtiger Gegenstandsbereich der Ausbildung im Studiengang soziale Arbeit“, erklärte Professor Schädler. Die Veranstaltung endete mit einer Podiumsdiskussion, an der sich unter anderem Dr. Heiko Ullrich, Chefarzt der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik am Kreisklinikum Siegen, Wolfgang Pohlmann vom Bundesverband Ex-In, und Studierende der Uni Siegen beteiligten. „Wichtig ist es, jede Perspektive wertzuschätzen, mit dem Wissen, dass diese nicht vollständig ist“, nannte Papke die vielleicht wichtigste Erkenntnis des Tages. (PM)
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