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Nachricht vom 03.01.2014
Region
Blick auf zehn Jahre Hartz IV im Westerwaldkreis
2003 verabschiedete der Deutsche Bundestag das vierte "Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt", besser bekannt als Hartz IV. SPD-Kanzler Gerhard Schöder verlor deswegen sein Amt, seine Partei stürzte in ein Allzeit-Tief. Gleichzeitig wird Deutschland vom "Kranken Mann Europas" zu Europas Wirtschaftsmotor. Wie sind die Folgen für den Westerwaldkreis? Wie wurden die Arbeitsmarktreformen umgesetzt? Wo besteht noch Handlungsbedarf? Auf diese und viele weitere Fragen wollte die SPD-Kreistagsfraktion Antworten.
Archiv: WW-KurierWesterwaldkreis. Vor 10 Jahren verabschiedete der Deutsche Bundestag das vierte "Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt", besser bekannt als Hartz IV. Daran scheiden sich auch im Westerwald bis heute die Geister: Von den einen als ein Fundament des deutschen Jobwunders gepriesen, von den anderen als sozialpolitische Abrissbirne verdammt! In einer Pressemitteilung geht die SPD-Fraktion auf die Situation und den Fragenkatalog sowie die Antworten ein.

Richtig ist sicher, dass das Ergebnis der Arbeitsmarktreformen eine nachhaltige Verringerung der Arbeitslosigkeit in unserer Region ist. Aber auch eine Zunahme an Lohnungleichheit und Beschäftigungsformen, von denen niemand leben kann. Kreistagsmitglied Uli Schmidt, Horbach (SPD) wollte von den zuständigen Behörden wissen, wie deren Fazit für den Westerwaldkreis ausfällt, welche Erfahrungen bisher mit der Grundsicherung für Arbeitssuchende (dem SGB II) gemacht wurden und welchen Handlungsbedarf noch besteht.

„Die Grundsicherung für Arbeitssuchende soll es Leistungsberechtigten ermöglichen, ein Leben zu führen, das der Würde des Menschen entspricht‘“. So ist es in § 1 des SGB II nachzulesen. Mit den Antworten auf seine 23 Fragen wollte Schmidt erkunden, ob die Würde der betroffenen Menschen im Westerwald gewahrt wird. Nach seiner Einschätzung ist es zutreffend, dass allzu oft die Verantwortung für Langzeitarbeitslosigkeit vom Staat auf die Betroffenen verlagert wird. Auch haben sich die Chance vieler Kinder aus armen Familien auszubrechen, weiter verschlechtert.

Die Kreisverwaltung hat nach Abstimmung mit der Geschäftsführung des Jobcenters (JC) Westerwald und unter Einbeziehung von Informationen der Arbeitsagentur in Montabaur auf die Fragen geantwortet. Zunächst wurde festgestellt, dass derzeit 129 Mitarbeiter/innen im JC beschäftigt sind, von denen mehr als die Hälfte aus Berufszweigen kommt, die mit der Aufgabenwahrnehmung nichts zu tun haben. Erfreulich dagegen die Tatsache, dass die Personalfluktuation deutlich reduziert wurde.

Eine Folge der neuen Gesetzgebung war, dass die Sozialgerichtsbarkeit stark beansprucht wurde. Im Westerwaldkreis ist die Zahl der Klagen von 127 in 2007 auf 370 in 2010 gestiegen, um dann bis 2012 wieder auf 156 zu sinken. Im gleichen Zeitraum war die Entwicklung bei den Widersprüchen von 1499 auf 1854 und dann einem Rückgang auf 1171 ähnlich. In 2013 hat sich diese Tendenz fortgesetzt. Wegen dieser positiven Entwicklung wird die Notwendigkeit zur Schaffung einer Ombudsstelle nicht gesehen.

Aus einem kritischen Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat sich die Notwendigkeit zur Neufestsetzung der Regelsätze für Kinder ergeben. Dem Jugendamt liegen keine Ergebnisse darüber vor, wie sich die Umsetzung des daraus folgenden „Teilhabepaketes“ auf Kinder in einkommensschwachen Familien im Kreis ausgewirkt hat. Eine Einschätzung ist der Verwaltung auch dazu nicht möglich, ob das „Lohnabstandsgebot“ in Familien mit 3 und mehr Kindern tangiert wird.

Schmidt vertritt als sozialpolitischer Sprecher der SPD-Kreistagsfraktion die Ansicht, dass im Gesetz der Aspekt der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben unzureichend gewürdigt wird. Er fragt deshalb, ob es Sinn macht, am „Fest der Familie, Nächstenliebe und Großherzigkeit“ zur Praxis einer Unterstützung in Form einer früher gewährten „Weihnachtsbeihilfe“ zurück zu kehren. Da nicht zuständig, wollte sich die Kreisverwaltung dazu nicht äußern.

Keine Erkenntnisse liegen darüber vor, ob ausreichend angemessener Wohnraum für die Zielgruppe im Kreis zur Verfügung steht. Nach Erkenntnissen der Verbandsgemeindeverwaltungen gibt es keine Tendenz, Wohnraum für die Leistungsbeziehenden in schwierigen örtlichen Randlagen zur Verfügung zu stellen und dadurch zu einer „Ghettobildung“ beizutragen.

2006 wurde nachträglich die Vorschrift eingeführt, dass Jugendlichen unter 25 Jahren aus einem „Hartz IV - Haushalt“ der Umzug in eine eigene Wohnung auf Kosten der Allgemeinheit fast generell untersagt ist. Diesbezüglich gibt es im Westerwaldkreis keine generelle Untersagung eines Umzuges von Jugendlichen, aber von diesem Grundsatz wird beispielsweise nur bei Vorliegen schwerwiegender sozialer Gründe oder bei Notwendigkeit in Folge der Eingliederung in den Arbeitsmarkt abgewichen.

Seit 2009 kann in unserer Region eine Steigerung der Sanktionen nicht mehr festgestellt werden. In 2012 wurden insgesamt 2.266 Sanktionen ausgesprochen, darunter 1.451 wegen einem Meldeversäumnis und 248 wegen „Arbeitsverweigerung“. Bei letzteren wird vermutlich ein erheblicher Anteil in Konflikt mit der „Zumutbarkeitsregelung“ (jede Arbeit ist zumutbar) geraten sein.

Gefragt wurde auch danach, ob das neu geschaffene Instrument der „Freien Förderung“ zur Eingliederung in Arbeit schon einmal genutzt wurde. Ja, so die Antwort, 89 Personen wurden seit der Instrumentenreform 2012 gefördert. Viele davon als Mobilitätsförderung, um die Arbeitsstelle zu erreichen.

Mit der Instrumentenreform vor 2 Jahren wurden dem JC Westerwald die zur Arbeitsmarktintegration zur Verfügung stehenden Mittel um fast die Hälfte gekürzt. Uli Schmidt teilt die Einschätzung der Verantwortlichen weitgehend, dass durch das besondere Engagement der JC-Beschäftigten und eine Bündelung der Maßnahmen die schlimmsten Folgen dieser radikalen Kürzung vermieden und die Zahl der erwerbsfähigen Leistungsbezieher um über 20 Prozent reduziert werden konnte. „Aber für sehr arbeitsmarktferne Personen besteht weiter Handlungsbedarf“, so der Fragesteller.

Von den Bürgermeistern der Verbandsgemeinden wurde verneint, dass durch den Wegfall von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) und Arbeitsgelegenheiten (AGH) auf kommunaler Ebene Probleme entstanden sind oder bestimmte Aufgaben nicht mehr erledigt werden können. Ob dies im Umfeld der Wohlfahrtsverbände anders beurteilt wird, konnte nicht gesagt werden.

Ein Problem bei Kindern aus einkommensschwachen Familien sind oft überdurchschnittliche gesundheitliche Risiken. Das Gesundheitsamt der Kreisverwaltung kann Angaben hierzu nicht machen, da bei entsprechenden Untersuchungen die Einkommensverhältnisse der Erziehungsberechtigten nicht bekannt sind oder datenschutzrechtliche Gründe entgegenstehen.

Nach Ansicht der SPD-Kreistagsfraktion hat Teilhabe für ärmere Menschen viel mit oft fehlender oder zu teurer Mobilität zu tun. Darüber wurde auch schon im Kreistag im Zusammenhang mit dem „Sozialticket“ diskutiert und festgestellt: Wenn ein 50er Bus durch den Westerwald fährt und nur mit 5 Leuten besetzt ist, entsteht niemand dadurch einen Schaden, wenn zusätzlich entgeltfrei noch ein „Hartzer“ mitfährt. Landrat Achim Schwickert wies in seinem Antwortschreiben auf bestehende Konzessionen der beauftragten Verkehrsunternehmen hin und stellte fest: „Kreisseitig besteht hier keine Einflussmöglichkeit“. Auch für ehrenamtlich tätige Leistungsbezieher werden diesbezüglich keine Möglichkeiten außerhalb der mit dem Regelsatz gewährten Verbrauchsausgaben für den Bereich „Verkehr“ gesehen.

Hingewiesen wird auch auf die Bedeutung der Schuldnerberatung, die oftmals der erste wichtige Schritt aus einer finanziellen Abhängigkeit ist. Nachdem der Kreistag zu Recht einstimmig beschlossen hat, die Schuldnerberatungsstellen von Caritas und Diakonischem Werk personell zu stärken, laufen derzeit nach Mitteilung der Kreisverwaltung die entsprechenden Gespräche über die Ausgestaltung der künftigen Förderung.

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