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| Memorabilia VII: Die Kühlwetter-Tragödie |
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| Im Jahr 1739 kommt es zur letzten und vermutlich auch einzigen Hinrichtung in der Unkeler Stadtgeschichte. Der Lebensweg des Delinquenten gleicht einem Trauerspiel aus der Feder großer, klassischer Autoren. Memorabilia VII über vergebene Chancen, verlorene Liebe und die Abgründe der Sucht. |
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Unkel. Die letzte Ausgabe der Memorabilia behandelte die fatale Schnapsidee zweier Bendorfer Schuhmacher, die aus gekränkter Eitelkeit zwei Westerwälder Käsehändler überfielen – mit tödlichen Folgen. Während jene Anekdote ihren Unterhaltungswert vor allem aus dem komisch-skurrilen Element ihrer Ereignisse zog, entspricht diese Folge eher der klassischen Tragödie. Im Mittelpunkt steht das Leben des Anton Kühlwetters, das aufgrund diverser Schicksalsschläge und einer Suchterkrankung quasi offensichtlich am Galgen enden musste. Das, obgleich die verschiedensten Charaktere alles daran setzten, ihm genau das zu ersparen.
Die Quellenbasis
Wie die meisten der vorherigen Teile beruht auch dieses Memorabilia im Kern wieder auf den erhaltenen Prozessakten. In diesem dienen jedoch aus Effizienzgründen (die Akten sind in Sütterlin geschrieben und oftmals verblasst, nach eigenwilligen Rechtschreib- und Grammatikregeln verfasst und in der Regel auch repetitiv) nicht die Gerichtsunterlagen direkt, sondern ihre Verarbeitung durch den Geschichtsverein Unkel als Basis des Artikels. In seinem jährlich erscheinenden Geschichtsboten hat der Verein bereits im Jahr 2022 eine Aufarbeitung der Ereignisse veröffentlicht. In diesem sehr lesenswerten Machwerk, "Das Unkeler Gerichtswesen im 18. Jahrhundert - Strafrechtsfälle im Spiegel der Zeit Teil 2", steht allerdings dem Titel entsprechend eher der juristische Aspekt der Geschichte im Rampenlicht, während die psychologisch-emotionale Ebene in den Hintergrund rückt.
Schwerer Start
Springen wir direkt zum Anfang: Im Jahr 1706 wurde Anton Kühlwetter in eine typische Arbeiterfamilie hineingeboren. Gemeinsam mit seinem Bruder und den beiden Schwestern wuchs er als Sohn eines Schneiders zunächst nicht sonderlich spektakulär in Niederzissen in der Eifel auf. 1720 verstarb seine Mutter – auch für die Verhältnisse des 18. Jahrhunderts – relativ früh. Hier nahm die Tragödie ihren Anfang. Etwa zehn Jahre später, Kühlwetter ist inzwischen in Mayen ansässig: Aufgrund einer Schwangerschaft wurde Kühlwetter genötigt, Maria Schell zu heiraten. Keine klassische Liebesheirat, die Gute war schwanger – von einem anderen Mann. Etwa drei Jahre hielt Kühlwetter dieses Engagement aus, ehe er Reißaus nahm und gen Andernach floh. Frau und Kinder (inzwischen hatte sie auch ein Kind von ihm bekommen) ließ er zurück. Hier am Rhein betätigte er sich als Flößer, also als eine Art Transporteur von Hölzern über das Wasser.
Der Start einer kleinkriminellen Karriere
Ein Jahr später zeigte sich Kühlwetters Krankheitsbild zum ersten Mal öffentlich: Er war ein Kleptomane. Im Mai 1734 wurde er deswegen erstmals verurteilt. Einem Andernacher Soldaten soll er damals zwei Hemden, ein Unter- und ein Oberhemd, gestohlen haben. Er verteidigte sich mit einem angeblichen Kauf der nämlichen Gegenstände. Das kurkölnische Gericht folgte aber der Anklage des Soldaten und verurteilte Kühlwetter wegen Diebstahls zu 50 Stockschlägen. Zusätzlich wurde er aus dem Gebiet Kurkölns verbannt. Eine damals absolut übliche Strafe, waren Gefängnisse doch noch lange nicht etabliert. Daran hielt er sich aber keineswegs. Stattdessen zog er weiter den Rhein rauf in Richtung Linz, genauer gesagt nach Leubsdorf. Etwa drei Monate später stand er erneut unter Verdacht, einen Diebstahl begangen zu haben.
Seine Kammer wurde durchsucht und dabei allerlei Plunder gefunden, über dessen Herkunft er keine schlüssigen Angaben machen konnte. Hierzu gehörten neben Geld und Wertgegenständen auch Banalitäten wie Butter und Käse. Der Fall war wieder relativ eindeutig. Kühlwetter wurde angeklagt und wegen Diebstahls sowie der Widersetzung der Verbannung verurteilt. Erneut erhielt er eine Leibstrafe und erneut wurde er des Landes verwiesen. Dieses Mal kam er der Aufforderung sogar nach.
Ein Wendepunkt(?)
Er zog ins Herzogtum Berg, nach Henff (heute Hennef). In Henff verdingte er sich als Zimmergeselle. Dort lernte er auch Magdalena Steinbach kennen. Die beiden verliebten sich und bald darauf war Steinbach schwanger. Zusammen gingen sie nach Damscheid, wo sie bald darauf heirateten. Zuvor legte er seinen alten Namen ab. Nach eigener Aussage will er einen Pass samt Taufschein auf den Namen Anthon Copia auf der Straße gefunden haben und entschloss sich, diese Identität anzunehmen. Wie wahrscheinlich das ist, darf jeder für sich selbst beurteilen. Zumal ihm dieser Zufall recht gelegen gekommen sein dürfte: Kühlwetter war bereits verheiratet und durfte nach damaliger Rechtslage nicht ein zweites Mal den Bund der Ehe schließen. Gemeinsam mit seiner Angetrauten belog er also den Pfarrer, was diesen Umstand betraf, und machte sich formaljuristisch der Bigamie schuldig. Wieder als Flößer tätig, lebte das Paar gemeinsam in Damscheid. Schnell war er seinen Schwiegereltern ein Dorn im Auge. Nicht vollkommen unbegründet, denn allem Anschein nach hatte er noch immer seine Kleptomanie nicht im Griff. Ständig brachte er von seinen Reisen ungewöhnliche Geschenke mit nach Hause, über deren Herkunft allgemeine Verwirrtheit herrschte. Eines Tages tauchte er in bester Peter-Griffin-Manier plötzlich mit einem Pferd vor seiner Familie auf. Er behauptete zwar, er hätte es einem holländischen Reiter abgekauft, doch sein Schwiegervater glaubte ihm kein Wort und so war das Pferd schnell wieder weg. Schließlich wollte das Paar den Schwiegereltern entfliehen, indem es nach Hollnich zog.
Die Katastrophe
Es dauerte nicht lange und die Katastrophe fand ihren ersten Höhepunkt: 1737 wurde Kühlwetter erwischt, als er einem Hirten Flachs und Speck stahl. Er wurde inhaftiert und sollte in Boppard auf seinen Prozess warten. Nachdem sie die Nachricht erhalten hatte, musste Magdalena den Rückweg zu ihren Eltern antreten. Eines Nachts dann, die Wachen schliefen bereits, gelang Kühlwetter seine erste spektakuläre Flucht: Es gelang dem Inhaftierten, sich aus seiner Zelle zu befreien und ungesehen die Anstalt zu verlassen. Im Schutz der Nacht schaffte er es an den Rhein. Hier spielte ihm die göttliche Fügung in die Karten: Über eine Eisscholle überquerte er den Strom und brachte sich zunächst in Sicherheit. Bei der Jesuiten-Residenz in Bornhofen fand er scheinbar Kirchenasyl. Vier Tage später verließ er das Kloster des Nachts wieder, nicht ohne die Insassen vorher um einigen Kleinkram zu erleichtern. Gemeinsam mit seiner Frau wollte er nun in ein neues Leben fliehen. Dabei gab es nur ein Problem: Magdalena war wieder bei ihren Schwiegereltern untergekommen, die den Teufel tun würden, ihre Tochter erneut ziehen zu lassen. Schon gar nicht mit dem diebischen Kühlwetter.
Emotionale Wiedervereinigung
Hier wird die Erzählung nun widersprüchlich, denn Kühlwetter will zunächst den gerichtlichen Weg gegangen sein, um seine Frau aus dem Haushalt der Schwiegereltern frei zu bekommen, und behauptet, dabei Recht bekommen zu haben. Daraufhin habe die Familie dennoch die Herausgabe Magdalenas verweigert. Das klingt erst einmal zweifelhaft, war Kühlwetter doch in dem Moment flüchtig. Jedenfalls ist man sich einig, dass schließlich Folgendes passierte:
Im Wirtshaus zu Bickenbach heuerte Kühlwetter drei Männer an, gemeinsam mit ihm gewaltsam seine Frau zu befreien. Über den Stall brachen sie in das Haus der Steinbachs ein, worin Anton seine Frau sogleich um den Hals fiel. In einer rührenden Wiedersehensszene soll er ihr seine Schuhe für die Flucht überlassen haben, bevor sie zusammen gen Bickenbach aufbrachen.
Der Tiefpunkt
Doch die Freude währte nicht lange: Kurze Zeit später wurde Kühlwetter erneut aufgegriffen und inhaftiert. Dieses Mal sind die Sicherheitsvorkehrungen nicht derart lasch wie in Boppard. Zudem wird der Unglückliche nach St. Goar überstellt und ihm dort der Prozess gemacht. Vierzehn Monate saß er nun in, wie man heute sagen würde, Untersuchungshaft. Unzählige Diebstähle, sowie der Einbruch bei seinen Schwiegereltern und die inzwischen nachgewiesene Bigamie wurden ihm zur Last gelegt. In allen Punkten zeigt er sich geständig. Am 20. April 1739 dann das harte Urteil: Doppelte Leibesstrafe, Verbannung und Auflösung der zweiten Ehe.
Das Ende?
Allein und mittellos will er sich nun nach eigener Aussage entschlossen haben, Mitteleuropa den Rücken zu kehren. Doch es kam anders: Nur Tage später verschwinden im Unkeler Stadtteil Scheuren diverse Gegenstände. Auf der Suche nach dem Dieb, der ihm seine Kleidung entwendete, fällt dem ortsansässigen Johann Brewer ein verdächtiger Mann auf. Mit einem Salzsack zieht der Fremde durch die Gegend. Gemeinsam mit seinem Vater verfolgte Brewer den Mann über Erpel bis nach Kasbach. Hier wurde er schlussendlich mithilfe der Dorfbewohner gestellt. Selbstverständlich handelte es sich um Anton Kühlwetter. Er warf den zum Bersten mit Diebesgut gefüllten Sack von sich, ehe er zu Fuß die Flucht antrat. Zwecklos, denn nur kurz darauf wurde er dingfest gemacht und erneut vor Gericht gestellt. Wieder war seine Verteidigung mehr als dürftig. Tatsächlich konnte ihm aufgrund eindeutiger Fußspuren der Diebstahl mindestens einiger Kleidungsstücke Brewers ziemlich sicher nachgewiesen werden.
In die Enge getrieben und überführt, gestand Kühlwetter die Diebstähle. Bis zur Urteilsverkündung sollte er im Unkeler Gefängnisturm interniert werden. Hier wird im Übrigen noch heute an den Fall erinnert. Das Gericht jedenfalls schickte Botschaft in jene Orte, in denen er zuvor verurteilt worden war, um an die Fallakten zu gelangen. Auch wenn schlussendlich die Verantwortung, ein Strafmaß festzusetzen, an die Hofkanzlei des Kurfürsten in Bonn weitergeleitet wurde, war das Urteil im Grunde schon von vorneherein klar: Schüren lag auf dem Hoheitsgebiet Kurkölns, aus dem Kühlwetter bereits zweimal auf Lebenszeit verbannt worden war. Außerdem musste man ihn schon ob seiner zahlreichen Diebstähle als unverbesserlichen Gewohnheitskriminellen ansehen. Dass das Urteil der Tod sein würde, lag auf der Hand.
Eine letzte Chance
Dennoch erhielt Kühlwetter quasi aus dem Nichts eine allerletzte Chance. Es gibt hier viel Raum für Spekulationen, denn das Ausmaß des menschlichen Versagens ist schon auffällig und die Vermutung, dass die Unkeler Autoritäten Mitleid verspürten und ihn einfach laufen lassen wollten, liegt recht nahe. Jedenfalls steckte ihm, während er auf sein Urteil wartete, die Frau des Gerichtsdieners ein Brecheisen zu. Zuvor hatte sie bereits einmal das Vorhängeschloss an der Zelle geöffnet, bevor der Inhaftierte dies ausnutzen konnte, war es jedoch schon wieder von einem Wächter verschlossen worden.
Dieses Mal hatte er allerdings Glück – oder vielleicht auch mehr als das: Nicht nur hatte er ein Brecheisen, um durch die marode Mauer zu gelangen, auch machten sich die beiden eingesetzten Wächter eklatanten Verletzungen ihrer Dienstpflicht schuldig. Ohne triftigen Grund verließen beide Männer den Gefangenen, um privaten Tätigkeiten im Ort nachzugehen. Kühlwetter hatte also leichtes Spiel: Am helllichten Tag brach er die Mauer seiner Zelle auf, schlich sich zum Rhein und setzte mit einem zufällig dort liegenden Boot über ins sichere Herzogtum Jülich. Ob nun aus Mitleid, Inkompetenz oder göttlicher Intervention: Kühlwetter hatte noch eine allerletzte Chance bekommen, sein Leben zu retten und den Neustart zu wagen.
Das Ende
Wieder nutzte er sie nicht. Zwei Wochen später griff man ihn in Oberwesel erneut auf. Er wurde nach Unkel überführt und erhielt dort Ende des Monats sein Todesurteil: Tod durch den Strang.
Bis zum 4. August errichtete die Stadt nun den Galgen und traf sämtliche Vorbereitungen für die anstehende Exekution. Am nämlichen Tag wandte sich Kühlwetter dann an die versammelten Schaulustigen. Der Legende nach soll er hier eine beeindruckende Rede gehalten haben, in der er seine Kleptomanie als Sucht beschrieb.
Er rief ausdrücklich alle Eltern dazu auf, bei dem kleinsten Diebstahl ihrer Kinder sogleich streng zu intervenieren – nicht wie seine eigenen Eltern, einfach wegzusehen. Über die Jahre entwickelte sich so der starke Drang bei ihm, noch den trivialsten Blödsinn mitgehen zu lassen. Seine letzten Worte sollen an die Zuschauer gerichtet gewesen sein: "Wenn sich jemand in der Versammlung befindet, der zum Nutzen und Frommen meiner armen Seele eine heilige Messe will lesen lassen, so bitte ich ihn um Gottes Willen, die Hand in die Höhe zu strecken!" Gerührt durch diese Worte, soll jeder Anwesende das gewünschte Zeichen gegeben haben. |
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