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Nachricht vom 19.11.2021
Wirtschaft
Handwerk bietet Zukunft: Elektriker aus Bosnien und Herzegowina in Wäller Firmen
Fachkräfte für die Region gewinnen: Projekt Handwerk bietet Zukunft ist erfolgreich gestartet. Die Agentur für Arbeit Montabaur und HwK Koblenz unterstützen Unternehmen bei der Senkung des Fachkräftemangels mithilfe von qualifizierten Kräften aus dem Ausland.
Hand in Hand: Berthold Schneider und Tarik Dozo. (Fotoquelle: Arbeitsagentur Montabaur)Westerwaldkreis. Zwei junge Elektroniker aus Bosnien und Herzegowina suchen einen Job mit Perspektive. Sie lernen Deutsch, legen eine Sprachprüfung ab und überzeugen online im Bewerbungsgespräch. Jetzt sind sie angekommen: Zwei Westerwälder Arbeitgeber heißen die dringend gebrauchten Mitarbeiter willkommen und setzen auf deren Potenzial. Schon bald sollen sie die Unternehmen als Fachkräfte verstärken. Dass Ländergrenzen überschritten und gesetzliche wie bürokratische Hürden überwunden wurden, ist dem Projekt Handwerk bietet Zukunft zu verdanken, in dem die Agentur für Arbeit Montabaur und die HwK Koblenz sich engagieren.

Fachkräfte aus dem Ausland schließen Lücken
„Ich heiße Emir Jasarevic und bin 23 Jahre alt. In Bosnien habe ich eine elektrotechnische Fachmittelschule besucht mit Schwerpunkt Telekommunikation. Ich möchte weiter lernen und neue Techniken und Maschinen kennen lernen.“ Der junge Mann in blauer Arbeitsmontur sitzt am Konferenztisch der Firma Zoth (Westernohe) und stellt sich den Projektteilnehmern vor. Sein gutes Deutsch nach sechs Monaten Crashkurs überrascht alle. Jetzt geht es darum, das Fachwissen zu erweitern. Anders als in der dualen Ausbildung, für die Deutschland weltweit gelobt wird, hat Emir bislang nur theoretische Kenntnisse erworben. Die Basics für die Praxis bekommt er nun in der Lehrwerkstatt. Auf Übungsplatten baut er Schaltungen, und sobald er den Namen eines Bauteils nicht kennt, greift er zum Smartphone und sucht die Übersetzung ins Bosnische.

Wenn er fachlich fit genug ist, wird der junge Mann mit hinausfahren zu den Kunden der Zoth GmbH & Co.KG. Sein Arbeitgeber zählt mit mehr als 500 Beschäftigten an mehreren Standorten zu den Großen im Westerwald, ist dabei jedoch ein Familienunternehmen geblieben, das seine „Wäller Wurzeln“ pflegt.

Für Geschäftsführer Wolfgang Zoth ist der Mangel an qualifiziertem Personal das drängendste Problem, gerade in der Sparte Handwerk. Er sucht Anlagenmechaniker für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik, Metallbauer und Elektroniker. Er findet viel zu Wenige. „Wir brauchen Zuwanderung“, betont Zoth. „Wenn erst die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen, weiß ich nicht mehr, woher wir Fachkräfte bekommen sollen.“ Umso wichtiger seien Konzepte wie Handwerk bietet Zukunft, mit denen die Betriebe unterstützt werden.

Chancen, die in der Heimat nicht geboten werden
Handwerk bietet Zukunft ist ein vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie gefördertes Pilotprojekt, das der Zentralverband des Deutschen Handwerks, die Bundesagentur für Arbeit und die sequa GmbH gemeinsam mit der Arbeitsverwaltung von Bosnien und Herzegowina umsetzen. Außerdem im Boot ist der Fachverband Elektro- und Informationstechnik Hessen/Rheinland-Pfalz. Die HwK Koblenz ist einer von bundesweit drei regionalen Partnern; für die Arbeitsagenturen im Kammerbezirk übernimmt Montabaur die Koordination.
Hier geht es gezielt darum, Elektroniker zu gewinnen. Die Unternehmen melden die zu besetzenden Stellen und bekommen ein ganzes Servicepaket. Es umfasst die Auswahl geeigneter Bewerber, die Einschätzung von Berufsabschlüssen, Anerkennungs- und Qualifizierungsverfahren, die Organisation von Sprachkursen (Level B1), digitale Vorstellungsgespräche und die Zulassung zum Arbeitsmarkt.

Die Betriebe wiederum bieten den Beschäftigten aus dem Ausland zunächst eine Anpassungsqualifizierung und zahlen in dieser Zeit einen Helferlohn. Anschließend wird ein neuer Arbeitsvertrag mit der ortsüblichen Vergütung als Fachkraft abgeschlossen.

Im Westerwald freuen sich Björn Becker, Bereichsleiter der Agentur für Arbeit Montabaur, und Stefan Gustav, Abteilungsleiter Internationale Berufsbildung bei der HwK Koblenz, über den erfolgreichen Start des Projekts. „Im guten Miteinander ist es gelungen, zwei Elektroniker aus Bosnien in die Region zu holen; zwei weitere reisen demnächst ein. Das ist ein positives Signal, und wir setzen alles daran, dass aus dem Pilotprojekt eine ständige Kooperation wird. Handwerk bietet Zukunft trägt zur Existenzsicherung unserer Betriebe bei und eröffnet jungen Menschen Chancen, die sie in ihrer Heimat nicht bekommen.“

Bürokratie blockiert wieder einmal den Fluss

Auch kleine Betriebe profitieren von dem Konzept: In Rennerod führt Elektromeister Berthold Schneider eine Firma für Elektroanlagen, Gebäudetechnik, Wärmepumpen und Photovoltaik. Seine Belegschaft wird seit Anfang November durch Tarik Dozo (25) verstärkt. Schneider spricht die Probleme an, mit denen die Betriebe zu kämpfen haben: zuviel Bürokratie, zu viele Anlaufstellen für ein und dasselbe Anliegen – auch bei Handwerk bietet Zukunft. Die Kritik stößt auf offene Ohren: „Das Zuwanderungsgesetz ist einfacher geworden. Einfach ist es aber noch lange nicht“, bestätigt Stefan Gustav. Im Projekt werde zudem daran gearbeitet, die Abläufe unkomplizierter zu machen.

Wie reibungslos es gehen kann, wenn alle Stolpersteine aus dem Weg geräumt sind, beweist Schneider in seiner zupackenden Art. Zum Beispiel wird Tarik Dozo wie sein Kollege bei Zoth tatkräftig bei der Wohnungssuche unterstützt. Zuallererst holte ihn der Chef vom Flughafen ab und lud ihn zum Abendessen ein. Die Gaststätte hieß „Deutsches Haus“, war aber ein Balkanrestaurant. Kaum im Westerwald angekommen, konnte der junge Bosnier Smalltalk in seiner Muttersprache halten. An seinem neuen Arbeitsplatz überzeugt er mit sehr guten handwerklichen Fähigkeiten. Englisch spricht er perfekt – und sein Deutsch ist inzwischen so gut, dass er ebenso kreative wie verständliche Übersetzungen findet. Ihn interessiert vor allem, wie Smart Homes funktionieren. Er nennt sie: Häuser mit Gehirn. (PM)
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