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Nachricht vom 15.08.2021
Politik
Auch ein Landwirt hat das Recht, Geld zu verdienen
Bundesministerin Julia Klöckner besuchte beinahe spontan in Helmenzen den Vorzeigebauernhof der Familie Augst, ein Wäller Paradebeispiel für nachhaltige Landwirtschaft. Klöckner verteidigte die heimische Landwirtschaft gegen Vorurteile und richtete ihrerseits die Schelte an ganz andere Stellen.
Hofbesichtigung: (v.r.) Erwin Rüddel, Julia Klöckner, Mathias Augst, Jendrik Augst (Foto: Thomas Sonnenschein)Helmenzen. Der Regen der vergangenen Wochen tat der Natur gut, für eine reiche Ernte wären im Spätsommer nochmal 14 Tage Sonne hervorragend. Es könnte ein gutes Jahr werden für die Landwirte im Kreis Altenkirchen und Westerwald – Könnte. Denn die Marktmacht des Handels, Preisdumping und Verbraucherverhalten erschweren den Landwirten eine Preisgestaltung, von der sie auch (über)leben können.

Auf Einladung des Bundestagskandidaten Erwin Rüddel kündigte sich Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner kurzfristig an, um auf dem Hof der Familie Augst in Helmenzen mit Landwirten und Kommunalpolitikern über die Ist-Situation und die Zukunft in der Landwirtschaft zu sprechen. Rüddel würdigte den Hof als Vorzeigebetrieb für eine Nachhaltige Landwirtschaft

Familie Augst betreibt nachweislich bereits seit 300 Jahren die Landwirtschaft in Helmenzen. Seit 1995 besteht der Augsthof am heutigen Standort. Seit 2013 schon ist Matthias Augst alleiniger Geschäftsführer des Betriebes. „Der Begriff Nachhaltigkeit werde oft missbraucht, sagte Augst, „Was heute als Nachhaltigkeit verkauft wird, hat mein Vater schon vor 20 Jahren praktiziert.“

Mehr als sechs Dutzend Wäller aus Politik, Wirtschaft und Landwirtschaft versammelten sich auf dem Hof neben einem gewaltigen Mähdrescher und modernen landwirtschaftlichen Maschinen und bereiteten Julia Klöckner einen warmherzigen Empfang. Als sie begleitet von ihrem Team und einer Eskorte Personenschützer vom BKA das Podium betrat, applaudierten ihr die Zuhörer begeistert.

Der siebenjährige Sohn der Familie Augst, Jendrik, war verzückt von so vielen prominenten Besuchern auf dem Hof, was ja nicht alle Tage vorkommt. Julia Klöckner begrüßte den kleinen Jendrik sehr herzlich und bat ihn, ihr doch mal den Hof zu zeigen. Ob Wahlkampftaktik oder nicht, Jendrik ging stolzen Hauptes voran - wer von seinen Altersgenossen kann behaupten, so dicht mit einer Bundesministerin auf Tuchfühlung gegangen zu sein. Papa Matthias Augst übernahm für seinen Sohn die Erläuterungen zu den gepflegten Anlagen und dem Stall mit 40 Kühen.

Markus Mille, Geschäftsführer des Bauern- und Winzerverbandes Rheinland-Nassau e.V. , Bezirksgeschäftsstelle Altenkirchen, moderierte im Anschluss die Veranstaltung.

Fleisch
Erwin Rüddel kam bereits einleitend auf die Preispolitik zu sprechen. Wenn das Volk Produkte aus der Region und aus nachhaltiger Landwirtschaft beziehen wolle, müsse es auch höhere Kosten akzeptieren, sagte Rüddel, „Hohe Investitionen, unter anderem für den Maschinenfuhrpark, müssen sich ja auch für die Landwirte rechnen.“
Augst ergänzte, auch die Düngerpreise würden förmlich explodieren. Bei immens steigenden Kosten bliebe kaum etwas übrig.

Klöckner äußerte sich deutlich: „Es ist ja in Ordnung, wenn die Menschen weniger Fleisch essen. Aber dann sollte man wenigstens auch hochwertiges Fleisch kaufen und bereit sein, mehr zu bezahlen.“

Dabei werden beim Fleisch von den Abnehmern die Preise gedrückt. Die anwesenden Landwirte bestätigten, der Preis je Kilogramm sei auf 1,37 Euro gesunken, Fleischverarbeiter Tönnjes würde sogar nur 1,32 Euro je Kilogramm bezahlen.

„Es kann doch nicht sein, dass wir Hunderte von Euros für ein Handy ausgeben und dann Fleisch zu Dumping-Preisen beziehen“, beschwerte sich Klöckner.

Julia Klöckner sprach zwar nicht offiziell von einem Oligopol, jedoch hätten nur vier große Handelsriesen eine Marktmacht von 85 Prozent in Deutschland. Diese Macht werde natürlich genutzt, Risiken auf die kleinen Erzeuger abzuwälzen. Deshalb habe sie sich dafür eingesetzt, dass per Gesetz einige unmoralische Praktiken untersagt werden, darunter lange Zahlungsziele der Konzerne von mehr als neun Monaten oder die Rücknahmeverpflichtung der Landwirte von verdorbener Ware. Auch sei die Beteiligung der Landwirte an den Lagerkosten jetzt untersagt worden.

Klöckner monierte besonders, dass alle immer meinen, sie würden es besser machen, als die Landwirte: „Wenn wir nachhaltige regionale Produkte haben wollen, brauchen wir vor Ort unsere Landwirte.“ Unverständnis äußerte Klöckner deshalb gegenüber Umweltverbänden wie Greenpeace, die Schulmaterialien an den Grundschulen verteilten mit kindgerecht gestalteten, aber einseitigen Informationen. Wenn ein Heft für Grundschüler den Titel trage: „Ackergifte töten Tiere“, dann bleibe bei den Kindern ein entsprechend schlechtes Gefühl den Landwirten gegenüber zurück. Das Image leide unter solchen Kampagnen erheblich.

Als unterirdisch kritisierte Klöckner gar Forderungen der Grünen gegenüber der Landwirtschaft, denn auf den Betrieben hätte sich viel getan, was in der Öffentlichkeit nur wenig wahrgenommen werde. Auch die Bauern setzten sich in Kooperation miteinander für Insektenschutz ein und reduzierten Pflanzenschutzmittel auf ein Minimum.

Die Emissionsfrage mit der Freisetzung von CO2 werde ohnehin oft verkehrt dargestellt. Spitzenreiter sei immer noch die Energiewirtschaft mit 28 Prozent, gefolgt von Verkehr und Industrie. Erst am Ende der Kette sei die Landwirtschaft aufgeführt mit lediglich neun Prozent des Gesamt-CO2-Ausstoßes, listete Klöckner auf.

Doch wenn wir unsere Landwirte vor Ort nicht akzeptieren und gar niemand mehr als Landwirt den Sündenpeter spielen will, dann ist die Alternative, von der Landwirtschaft im Ausland abhängig zu werden, die wir nicht kontrollieren können, die das Bewusstsein der einheimischen Landwirte noch gar nicht haben und von wo aus die Transportwege wesentlich länger sind. Wenn aber die Verbraucher nicht wissen, wo das Fleisches herkommt und die CO2-Bilanz nicht kennen, wird letztlich nur der Preis kaufentscheidend sein.

So werde es möglicherweise auch beim Aldi-Konzern kommen, der nur noch Haltungsformen drei und vier im Sortiment aufnehmen möchte, bei der Kalkulation aber die hohen Investitionskosten nicht berücksichtige, informierte Klöckner: „Wenn die das Fleisch nicht aus dem Inland kriegen, werden sie auf dem internationalen Markt kaufen.“ Ob die Haltungsform entsprechend der Kennzeichnung tatsächlich auch umgesetzt werde, ließe sich dann kaum kontrollieren.

Um das Bewusstsein für nachhaltigen Fleischkonsum zu stärken, setzt sich Klöckner ein für eine noch bessere Kennzeichnung. Der Bewusstseinswandel sei notwendig - hin zu mehr Nahrungsmitteln direkt aus der Region.

Markus Mille nannte dazu als Beispiel, dass auch im Westerwald zwar viel Schweinefleisch gegessen werde, aber regional kaum Schweinezucht vorkomme.

Klöckner sagte dazu, oft habe die Schweinezucht weniger mit Landwirtschaft zu tun. Das sei schon Industrie.

Spott hatte Klöckner für die PR-Aktion bei Volkswagen übrig, wonach der Konzern angeblich aus Umweltgründen im Unternehmen die Currywurst verboten hat. „Wo habt Ihr denn die Currywurst herbekommen?“, richtete sie sich direkt an den Konzern, „Wie viel wart Ihr bereit, dafür auszugeben? Und wo kriegt Ihr jetzt die vegane Wurst her?“

Milch
Das scheinbar ewige Streitthema zwischen Landwirtschaft und Handel ist der Milchpreis, der von Abnehmerseite immer wieder gedrückt wird. 32,5 cent je Liter Milch halte auf Dauer keiner aus. Den Arbeitslohn nicht eingerechnet lägen alleine die Kosten schon bei mehr als 28 Cent je Liter, rechnete Matthias Augst vor. Nachdem sich Familie Augst nicht mehr mit der Hochwald Milch eG als Abnehmer einigen konnten, lieferten sie die Milch an die Berliner Milcheinfuhr-Gesellschaft (B.M.G.). Diese meldete aber im März 2018 Insolvenz an.

Die Folge: Bauern aus ganz Deutschland gerieten in akute existenzielle Nöte, zumal die Preispolitik der Abnehmer auch lange Zahlungsziele beinhaltet. Auf einmal war die B.M.G. Zahlungsunfähig und Familie Augst verlor von heute auf morgen 50.000 Euro an ausstehenden Rechnungen, die nie beglichen wurden.

Da half nur die Flucht nach vorne. Mit einem soliden Konzept über den Aufbau eines zweiten Standbeines in Form von Legehennen in einem Hühnermobil, also einem kompakten Hühnerstall, dessen Standort variabel ist, zeigte sich die Westerwald Bank als fair player und finanzierte die Maßnahme.

Bis heute mit Erfolg. Ein Vertrag mit Petz Rewe über die wirtschaftlich tragfähige Abnahme der Eier sicherte die Existenz. Innerhalb von zwei Jahren erweiterte sich der Bestand auf vier Hühnermobile mit je 200 Legehennen.

Umgekehrt hat der Augst-Hof von der Coronakrise profitiert. Als die Regale in den Supermärkten leer blieben, konnten sie 1,5 Tonnen Mehl extra verkaufen und statistisch waren während der Lockdowns 25 Prozent der Konsumenten mehr als sonst bereit, einen höheren Preis für qualitativ hochwertigeres Fleisch zu zahlen.

Josef Schwan, Kreisvorsitzender des Bauern- und Winzerverbandes Rheinland-Nassau e.V., erinnert sich: „Als ich damals einstieg, erhielten die Bauern noch 82 Pfennige je Liter Milch.“

Klöckner offenbarte, von der FDP enttäuscht zu sein, die im Vorfeld zu Debatten immer ganz vorne mit dabei wären, sich dann aber bei konkreten Abstimmungen im Bundesrat immer wieder zurückhaltend verhielten.

Nebenthema: Wolf
Zum Bestandsschutz für den Wolf sagte Klöckner: „Darf es wegen des Wolfes keine Weidetiere geben? Da wird argumentiert, man solle einfach nur den Zaun höher machen. Aber irgendwann ist das Gehege wieder ein Stall.“ Sie hörte schon die verheerendsten Geschichten. So habe ein Wolf in einer Nacht 40 Schafe gerissen. Es sei deshalb falsch den Wolfbestand für ganz Deutschland als maßgeblich zu erachten. Man müsse das viel mehr regional differenzieren.

Rüddel ergänzte, der Schutz des Wolfes werde von Menschen in den Metropolen entschieden, die in ihrem Leben nie einen frei lebenden Wolf sehen werden. Es ginge doch gar nicht darum, den Wolf auszurotten, sondern lediglich darum, die Bestände im Maß zu halten.

Mille gab in diesem Zusammenhang einen Querhieb gegen eine von ihm namentlich nicht genannte Naturschutzorganisation: „Nicht alles, was aus Quirnbach verbreitet wird, teilen alle Tierschützer gleichermaßen.“

Politik
Abschließend vermeldete Klöckner, dass ihr Ministerium ein Investitionsprogramm ins Leben gerufen habe mit 40 Prozent Förderung für Maschinen, die weniger Düngemittel und weniger Chemie in den Boden tragen. Die Förderungen für die Umsetzung zugunsten des Tierwohls seien sogar von 40 Prozent auf 80 Prozent verdoppelt worden.

Klöckner ermutigte die Landwirte, ihr Ministerium zu fordern, weiterhin die Missstände und Belange aufzuzeigen. Nur so könne sie im Sinne der Landwirtschaft Beschlüsse voranbringen. „Sonst kommt es aus Brüssel“, mahnte Klöckner und erläuterte, wenn Gerichtsurteile ergehen würde, sei sie gezwungen, diese auch umzusetzen und hätte keinen Hebel mehr, um Forderungen der Landwirte durchzusetzen. „Denken Sie daran: Wir Politiker sind Ihre Dienstleister, wir können Sie nie mit allen Wünschen glücklich machen, aber wir können ein bestmögliches Gesamtkonzept erarbeiten, an dem wir uns in Ihrem Sinne orientieren.“ (Thomas Sonnenschein)



   
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