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Nachricht vom 02.08.2021
Region
Wegefreigabe: Mitten ins Herz des Naturerbes Stegskopf
Es war ein längerer Weg, bis die Wege ins Herz des Naturerbes Stegskopf geöffnet wurden: Symbolisch schraubte Alexander Bonde, Generalsekretär der Deutschen Bundesstiftung Umwelt, ein Betretenverbotsschild ab. Neun Kilometer wurden freigegeben – nachdem die Wege auf Kampfmittel untersucht wurden.
Rote beziehungsweise blaue Pflöcke markieren den Weg, den Besucher künftig mitten ins das Herz des Stegskopf beschreiten dürfen. (Fotos: tt)Hof. Der berühmte Westerwälder Wind pfiff nicht über die Höhen des ehemaligen Truppenübungsplatzes Stegskopf. Wind trieb jedoch bleigraue Wolken über die ausgediente Schießbahn 7. An den Holzunterständen, einem Relikt aus der militärischen Nutzung des Areals, hatte sich viel Prominenz versammelt, die von Alexander Bonde begrüßt wurden.

Dem Generalsekretär der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU), der auch Geschäftsführer der DBU-Naturerbe GmbH ist, sah man die Freude angesichts des schönen Anlasses der Wegeröffnung an. Am Montag (2. August 2021) wurden neun Kilometer Wege für die Bevölkerung, beispielsweise für Sparziergänger, Radfahrer, Wanderer und Familien, auf dem ehemaligen Militärgelände für eine Nutzung freigegeben. Damit können nun 35 Kilometer Wege erwandert werden.

Während dies bislang nur auf den Platzrandstraßen möglich war, sind die nun dazugekommenen Wege etwas Besonderes: Führen sie doch in das Herz des heutigen DBU-Naturerbes Stegskopf - und ehemaligen militärischen Areals. So wurde der Truppenübungsplatz Stegskopf 100 Jahre genutzt, auch von der französischen Armee, zuletzt von der Bundeswehr.

Vom Übungsplatz zur Naturerbefläche
Der Übungsplatz ist längst aufgegeben und 1882 Hektar sind inzwischen DBU-Naturerbefläche Stegskopf. Auch wenn die jahrzehntelange Funktion und Bedeutung nicht mehr existiert, so besteht die Gefahr von Munition und Kampfmitteln, die sich auf dem Gelände befinden können. Das war immer der entscheidende Punkt, der einer vielfach geforderten Öffnung des Gebietes und der Wege für die Bevölkerung nicht möglich machte und entgegengestellt wurde.

Um es vorwegzunehmen: Auch wenn man nun offiziell in das Herz des Truppenübungsplatzes darf, zum Beispiel vorbei am Derscher Geschwämm, so gibt es auch hier klare Regeln. 600 rot oder blau markierte Pflöcke sind in den Boden gerammt und markieren den (schmalen) Korridor, auf dem sich künftig die Menschen bewegen dürfen – also auf den Wegen innerhalb der Markierungen.

Der Weg führt von Nord nach Süd und umgekehrt, und es ist eine Verbindung in die Westecke des Geländes. Die markierten Bereiche wurden sondiert, also auf Kampfmittel untersucht. Außerhalb der blauen und roten Pflöcke besteht nach wie vor ein Betretungsverbot, hieß es am Montag bei der feierlichen Eröffnung.

Diese nahm Bonde vor, während sich die Regenwolken über die ehemalige Schießbahn 7 schoben. Es blieb trocken, zumindest während der Generalsekretär anlässlich der Freigabe der Wege am Stegskopf sprach. Bei der früheren Nutzung seien spannende Natur- und Landschaftsräume entstanden. Wälder und Offenlandschaften. Lebensraum für Tiere. Die echte Arnika wachse hier, und es gebe Bruträume für Vögel.

Kampfmittel als Problem
Die langjährige militärische Nutzung habe nicht nur positive Spuren hinterlassen, so Bonde. Gemeint waren die Kampfmittel. „Sie als Bevölkerung wollen den Stegskopf erleben“, sagte der Geschäftsführer: „Für uns eine riesige Aufgabe.“ Diese könne nur erfüllt werden, wenn die Bevölkerung unterstütze und man verträglich Wege öffne, um „die Schönheit Naturerbe Stegskopf zu erleben“.

Es sei nicht trivial, wenn man eine Munitionsbelastung habe. Fündig wurde man. Neben Gewehrmunition spürte man ein 4,2-Zoll-Werferprojektil auf. Wenn so etwas detoniere, „will niemand mehr daneben stehen“, hieß es. Die Abstimmungen mit der Aufsichts- und Dienstdirektion Trier, der oberen Naturschutzbehörde der Struktur- und Genehmigungsdirektion Nord und den unteren Naturschutzbehörden der Landkreise Altenkirchen und Westerwald sei exzellent verlaufen. Nach der zweiten Räumung habe man es mit einer ganzen Menge Arbeit und ebenso vielen Menschen gemeistert, dass man nun zwei Wege freigeben könne: „Die Bevölkerung kann aus dem Herzen des Stegskopfes heraus die Naturflächen genießen“, sagte Bonde, der sowohl die Sicherheit wie auch den Schutz für Menschen beziehungsweise Natur herausstellte.

Diese benötigt Regen, den es bei der Eröffnung gleich dazu gab. Landtagsabgeordneter Michael Wäschenbach hielt den Schirm über den zweiten Redner Dr. Erwin Manz. „Auch diese Welt steht für eine Krise“, sagte Manz, Staatssekretär im rheinland-pfälzischen Ministerium für Umwelt und Forsten: „Es sind Überreste vom Krieg, die wir hier haben.“

Inzwischen seien die Kampfübungen vorbei. Es hätten sich wertvolle Freiräume entwickelt, sagte Manz, der von einem „Kleinod“ sprach. Er habe Arnika gesucht, aber „auch ich durfte natürlich nicht rein“, schmunzelte er, was sich bei dem anschließenden Rundgang änderte. Er dankte für die Übernahme der Fläche, die nicht klein sei. „Mehr als 100 Jahre waren die Menschen ausgesperrt“, konstatierte Staatssekretär Manz.

Zwei Jahre sei er als Landrat des Kreises Altenkirchen bei der Sache eingebunden, sagte Dr. Peter Enders und gab sich erleichtert: „Es ist keine unendliche Geschichte geworden.“ Er erinnerte an die Nutzung im Ersten und Zweiten Weltkrieg, und an die der Franzosen. Er kenne den Stegskopf, auch im tiefen Schnee.

Nach dem Ende der militärischen Nutzung sei schnell der Ruf gekommen, die Wege zu nutzen. 2015 habe es erste Untersuchungen gegeben. Er habe auch erfahren müssen, dass „die Diskussion nicht immer von Sachlichkeit geprägt“ gewesen sei. Ja, es hätte schneller gehen können, befand Landrat Enders, der jedoch herausstellte: „Gründlichkeit musste vor Schnelligkeit gehen.“ Nun könne man „ein Stück reizvolle Heimat der Bevölkerung“ übergeben, sagte er unter dem Schutz eines Regenschirms: „Wir haben Stegskopf-Wetter.“ Für den Landrat ist die Freigabe der Wege auch „ein weiteres touristisches Highlight“.

"Wertvolle Naturlandschaft"
Von „einer der wertvollsten Naturlandschaften“ sprach der rheinland-pfälzische Landtagspräsident Hendrik Hering und befand es für gut, dass diese von der Umweltstiftung erhalten werde. Man wolle den Menschen ermöglichen, dies zu erleben.

Zum Stichwort Naturschutz meinte er, dass Horrorszenarien nicht motivierend seien. Wichtig seien positive Erfahrungen, sagte Hering, der exemplarisch Weide- und Offenlandschaft anführte. Entscheidend sei es, dies erfahrbar zu machen. Hier sei es seriös gemacht worden, nun sollte man es nutzen. Das will der Landtagspräsident selbst auch, der die Wege für sein Marathon-Training nutzen will.

Man müsse sich auch darüber unterhalten, ob „verantwortungsvoll Windkraft betrieben werden kann“, sagte Hering. Damit müsse man sich auseinandersetzen, warb er, „aber nicht bei strömendem Regen“.

„Wir haben endlich die Wege frei“: Auch die Bundestagsabgeordnete Sandra Weeser freute sich. Dass die Wege frei seien, um die Natur zu erleben, erachtet sie als einen wichtigen Aspekt. Sie wisse, dass Menschen auch schon vorher unterwegs gewesen seien, um die Natur zu genießen: „Ich bin froh, dass die Menschen sich nun in sicheren Feldern bewegen.“ Sie knüpfte an die von Hering angesprochene Windkraft an und meinte, dass dazu auch Speicher und Netze gehören würden. Man dürfe nicht nur den Ausbau der Windkraft betrachten, sondern müsse „gesamtheitlich weiter kommen“.

Ihr Berliner Kollege Erwin Rüddel attestierte der Bundesstiftung „gute Arbeit“ geleistet zu haben. Der Bund habe dabei immer eine besondere Rolle gespielt, sagte Rüddel und sprach von einem längeren Prozess: „Ein Stück der Region wird an die Bevölkerung weiter gegeben.“ Klimaschutz sei wichtig, unterstrich der Politiker. Man müsse sich konkrete Gedanken machen, wo Windkraft installiert werden könne, sagte Rüddel: „Wir brauchen Windkraft auf dem Stegskopf.“

An die Fläche des ehemaligen Truppenübungsplatzes reichen drei Verbandsgemeinden, unter anderem Daaden-Herdorf. Deren Bürgermeister Wolfgang Schneider sprach auch für „unsere Ortsgemeinden“. Er erläuterte ein „magische Dreieck“. Für ihn beinhaltet dies Ökologie, Ökonomie und soziale Verantwortung. Letzteres stehe beispielsweise für Arbeitsplätze. Er erinnerte, dass der Lagerbereich in der Gemarkung Emmerzhausen liege, und der Lagerplatz sei nicht Teil des Naturerbes. Es gebe schon länger einen Investor, der ein Logistikzentrum schaffen möchte.

Ökologie und Ökonomie müssten in Einklang gebracht werden, warb der Bürgermeister: „Das tut der Region gut.“ Schneider, selbst (Rennrad-)Sportler, griff den von Hering angeführten Marathon auf und meinte mit Blick auf die nun vorhandene Wegstrecke: „Ein Marathon ist nicht bei 35 Kilometern aus.“ Es sei eine erste Verbindung geschaffen, aber es müsse noch nachgebessert werden, sagte der Bürgermeister, der an die Ziele der Bürgerinitiative für freie Wege auf dem Stegskopf erinnerte.

Für die Naturschutzinitiative (NI) meldete sich Landes- und Bundesvorsitzenden Harry Neumann zu Wort: „Eine Traumstunde für den Naturschutz.“ Bereits 2015 habe die NI gefordert Wege freizugeben, um das einzigartige Gebiet und die Natur noch intensiver erlebbar zu machen. Wanderer und Radfahrer müssten jedoch in dem „ökologischen Juwel“ die Wege einhalten.

Nach Angaben von Neumann haben seit 2014 rund 500 Menschen an Exkursionen der NI teilgenommen, was für ihn zeigt, dass ein großes Interesse besteht. Der NI-Vertreter hatte auch eine Wunschliste mitgebracht, die er offenlegte: Nach Vorstellungen seines Verbandes soll der Stegskopf als Naturschutzgebiet ausgewiesen werden.

Auch den Rückbau von Verbauungen und Begradigungen an Gewässern, eine Naturschutzwacht sowie erlebnispädagogische Angebote listete Neumann auf, der auch von einem „Nationalparkcharakter“ sprach. Es werden auch Infotafeln für die freigegebenen Wege gefordert, um zu erklären, „warum es so ein wichtiges Juwel“ sei.

Windkraft auf dem Stegskopf?
Er griff das Stichwort Windkraft auf und erklärt: „Es wird mit unserem Verband keine Windindustrieanlagen geben.“ Dem Vernehmen nach stehe die NI damit nicht allein, ließ er wissen: „Es muss heilige Räume geben, die frei sind von jeder Industriealisierung.“

Es war dann an Generalsekretär Bonde, die Freigabe vorzunehmen: Symbolisch schraubte er ein Betretenverbotenschild ab. Der Tross machte sich von dort aus auch gleich auf den mit den Pflöcken abgegrenzten Weg. Es wurde an diesem Tag bis zum „Derscher Geschwämm“ erkundet. Es handelt sich um eines der wenigen Hochmoore in der Bundesrepublik. Bundesforstrevierleiter Christof Hast machte hier einige Ausführungen. Der Rückweg wurde dann von erneutem Dauerregen begleitet.

Bei der feierlichen Wegeröffnung gab es einen Traktor zu sehen, der sich von einem gewöhnlichen abhebt: Es handelt sich um ein gepanzertes Exemplar, berichtetet Michael Buhl. Das Fahrzeug wird für die Offenlandpflege eingesetzt. Eisenplatten wurden zum Schutz vor etwaigen Detonationen verbaut, und die Scheiben sind aus sechs Zentimeter starkem Glas. Alles zum Schutz, denn: Die markierten Wege ins Herz des Stegskopfs sind sondierte – aber außerhalb davon besteht die Gefahr, die von Kampfmittel ausgehen kann, welches auf beziehungsweise im Boden schlummern könnte.

Schwierige Räumung
Bei der Eröffnung hatte Bonde von zwei Räumungen entlang der Wege gesprochen. Darauf vom AK-Kurier angesprochen, erläuterte Marius Keite, Justitiariatsleiter und Prokurist der DBU-Naturerbe GmbH, dass die Räumungstiefe beim ersten Mal nicht tief genug gewesen sei. Nach Auskunft von Keite kostete der zweite Anlauf inklusive der Markierung 75000 bis 80000 Euro.

Es waren nun keine Containerweisen Funde, die entlang der Wege gemacht wurden, wie von Dennis Tietz zu erfahren war. Er ist beim niedersächsischen Landesamt für Bau und Liegenschaften für Kampfmittelräumung zuständig und hatte die Maßnahme auf dem Stegskopf begleitet. Es seien unter anderem eine 4,2-Zoll-Mörsergarante entdeckt worden, die vermutlich von den Franzosen stammte. Mit den Händen zeigte er, wie groß diese Hinterlassenschaft etwa war und erläuterte: „Etwa einen halben Meter lang, der Durchmesser 10,5 Zentimeter.“

So seien neben Infanterieprojektilen auch Granatsplitter mit Sprengstoffanhaftungen entdeckt und entsorgt worden. Die Funde seien erstaunlich, sagte Tietz. Im weiteren Umfeld der Fundstellen, also außerhalb der sondierten Bereiche, müsse man mit weiteren Überraschungen dieser Art rechnen. In diesem Zusammenhang wurde auf die Beschilderung und die Markierung mit den Pflöcken verwiesen. Bundesforstrevierleiter Christof Hast erwähnte, dass es auch einen Wachdienst gebe. Es wurde aber auch an die Eigenverantwortung der Menschen appelliert. (tt)
       
       
       
   
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