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Nachricht vom 14.03.2021
Wirtschaft
Handelsexperte Hölper zum Wäller Markt - Teil vier
Was die Gründer des Vereins treibt, ist die Vision, einen Digitalen Marktplatz für den geografischen Westerwald zu entwickeln und langfristig zum Erfolg zu führen.
Jens Hölper. Foto: privatRegion. Heute kommt der vierte und letzte Teil unseres großen Interviews mit Jens Hölper.

Die zurzeit boomenden Lieferdienste konzentrieren sich momentan auf die Großstädte und meiden die ländlichen Regionen. Deshalb sieht das Konzept der Wäller Markt eG den Aufbau eines eigenen Lieferdienstes vor. Kann das Ihrer Meinung nach wirtschaftlich funktionieren?
Hölper:
Den größten Nutzen für die Einzelhändler beim Wäller Markt sehe ich in der Tat in der Teilhabe an dem geplanten Lieferdienst. Die großen Lieferdienste werden, auch nach vielen Expertenprognosen, ihr Geschäft auch in den kommenden Jahren nicht auf die ländlichen Regionen ausweiten.

Während viele es schaffen, einen eigenen Onlineshop auf die Beine zu stellen, rechnet sich für den Einzelnen aber niemals ein eigener (regionaler) Lieferdienst. Gemeinschaftlich lässt sich dieser aber besser auslasten und somit wirtschaftlich betreiben. Der Lieferdienst stellt die enorm wichtige letzte Meile zum Kunden dar und sorgt damit auch für einen quasi unschlagbaren Geschwindigkeits- und Vereinfachungsvorteil – der gleiche Lieferdienst, der zum Beispiel morgens die am Vortag bestellten Waren bei den Händlern abholt, liefert diese am Nachmittag direkt an die Kunden aus. Um Saison- und Tagesspitzen im „Endkundengeschäft“ zu stabilisieren, kann dabei der oben beschriebene, regelmäßige gewerbliche Warenverkehr zwischen Erzeugern und Gastronomen einen wichtigen Beitrag zur Kapazitätsauslastung und damit Wirtschaftlichkeit des Lieferdienstes leisten. Dass die Initiatoren des Wäller Markt diese gesamte Prozesskette bereits detailliert durchdacht und geplant haben, hat mich am meisten überzeugt.


Zum guten Schluss interessiert unsere Leser selbstverständlich auch, wie Sie als Handelsexperte die jüngsten Beschlüsse des Corona-Gipfels bewerten.
Hölper.
Ganz ehrlich: zum einen bin ich ein Stück weit sehr erleichtert, weil der Einzelhandel nun zumindest endlich einmal eine (weitgehend) klare Perspektive hat. Das Terminshopping etwa ist nur ein erster Schritt, aber ehrlicherweise nur für einen bestimmten Teil des Handels eine Option – vor allem bei hochwertigeren Anschaffungen; gerade für die oben beschriebenen Produkte, für die auch eine Vermarktung über den Wäller Markt perfekt geeignet wäre, ist jedoch davon auszugehen, dass diese zu einem erheblichen Teil auch als Impulskauf getätigt werden – dafür buche ich aber als Kunde eben keinen Termin, sondern ich fahre „jetzt“ hin oder kaufe online.

Daher kann das nur ein erster – kleiner – Schritt sein. Glücklicherweise haben wir zum Zeitpunkt dieses Interviews in Rheinland-Pfalz, und damit auch im Westerwald, eine so niedrige Inzidenz, dass die Geschäfte sogar schon ohne Termin öffnen können – das kann sich nach dem zwischen Bund und Ländern vereinbarten Modell aber ganz schnell ändern. Somit ist eine wirkliche Planbarkeit für den Handel leider nach wie vor nicht gegeben. Ich persönlich bin nach wie vor davon überzeugt, dass wir in Deutschland einen Weg finden müssen, mit dem Virus zu leben und dabei etwa auch Handel zu ermöglichen – statt pauschal zu versuchen, es „auszusperren“ und sich nur an der „einen“ Inzidenzzahl zu orientieren.

Der Gesundheitsschutz aller hat auch in meinen Augen absolute Priorität – aber genauso bin ich dafür überzeugt, dass dieser auch mit erheblich weniger Kollateralschäden zu erreichen ist! Dafür gilt es, kreativ zu sein und neben Impfungen und Tests auch proaktiv etwa digitale Instrumente zur Terminbuchung, Frequenzsteuerung und Kontaktnachverfolgung zu nutzen, die es längst auf dem Markt gibt. Leider sind aber meiner Meinung nach viel zu viele Wochen und Monate untätig vergangen, ohne strategisch über solche Dinge nachzudenken oder diese gar vorzubereiten, so dass wir da jetzt völlig hinterherhinken beziehungsweise immer noch am Anfang stehen und keine „Lernkurve“ nutzen.

Ganz ehrlich: mit den schleppenden Entscheidungen, der hemmenden Bürokratie und dem mangelnden Tempo bei Impfstoffbeschaffung, Impfungen, Testungen, Kontaktnachverfolgung et cetera kann man glaube ich nicht wirklich zufrieden sein (und das sind auch die meisten der zahlreichen Politiker selbst nicht, mit denen ich in den vergangenen Wochen gesprochen habe). Daher fordere ich die Entscheidungsträger in der Politik vor allem dazu auf, sowohl Bürgern als auch Unternehmen mehr zuzuhören statt sie zu bevormunden, sie in ihrer Eigenverantwortung in die Pflicht zu nehmen, aber sie auch bei der Erarbeitung und Umsetzung mehr einzubeziehen. Und am Ende ein Appell an alle: dem „gesunden Menschenverstand“ in allen Diskussionen und Handlungen bitte wieder mehr Raum zu geben!

Wir bedanken uns für Ihre Zeit und freuen uns, dass Sie sich in dieser Weise dem Westerwald verbunden fühlen.

Den ersten Teil des Interviews können Sie hier lesen.

Den zweiten Teil des Interviews können Sie hier lesen.

Den dritten Teil des Interviews können Sie hier lesen.

Weitere Informationen zum Wäller Markt und zur Mitgliedschaft in der Genossenschaft finden Sie hier.

Jens Hölper ist Geschäftsführer für Vertrieb, Marketing und Einkauf bei der 1956 gegründeten GARANT Gruppe mit Sitz im ostwestfälischen Rheda-Wiedenbrück, der selbständige Möbel-/Einrichtungshäuser, Küchenstudios, Bettenfachgeschäfte und SHK-Fachbetriebe (Bad, Heizung, Sanitär) in Deutschland, Europa und Asien angeschlossen sind.
Jens Hölper. Foto: privat

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